Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs
gefährlich – würde es dir was ausmachen, wenn ich sie meinen Studenten vorlege?»)
Was die Schulen für die Kinder betraf, wurde Manhattan seinem haarsträubenden Ruf gerecht. Hier begegneten Jed und ich der Welt der Drittklässler, die sich auf ihren Studienbefähigungstest vorbereiten, und der Kleinkinder mit Treuhandvermögen und eigener Fotomappe. Am Ende beschlossen wir, Sophia in eine staatliche Schule zu schicken, die P. S. 3, die gleich gegenüber unserer Wohnung lag. Lulu hingegen musste erst einmal ein paar Tests absolvieren, um in die Vorschule aufgenommen zu werden.
Die Vorschule, die auf Platz eins meiner Liste stand, befand sich in einer schönen Kirche mit Buntglasfenstern. Die Leiterin nahm Lulu mit, um sie zu prüfen, kam aber nach nur fünf Minuten wieder zurück und wollte von mir bestätigt haben, dass Lulu nicht zählen könne – nicht dass daran etwas auszusetzen sei, sagte sie, sie wolle lediglich die Bestätigung.
«Ach du meine Güte, natürlich kann sie zählen!», rief ich entsetzt. «Lassen Sie mich einen Moment mit ihr reden.»
Ich nahm meine Tochter beiseite. «Lulu!», zischte ich. «Was tust du? Das ist kein Spaß!»
Lulu runzelte die Stirn. «Ich zähle eben im Kopf.»
«Du darfst jetzt nicht nur im Kopf zählen – du musst laut zählen, um der Dame zu zeigen, dass du es kannst. Sie testet dich. Sie lassen dich nicht an diese Schule, wenn du ihnen nicht zeigt, dass du’s kannst.»
«Ich will auch gar nicht an diese Schule.»
Wie erwähnt, halte ich nichts davon, Kinder zu bestechen. Die Vereinten Nationen und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung haben internationale Abkommen zur Ächtung von Bestechung unterzeichnet; und wenn überhaupt, sollten Kinder ihre Eltern bezahlen und nicht umgekehrt. Aber meine Lage war verzweifelt. «Lulu», flüsterte ich. «Wenn du jetzt brav bist, kriegst du nachher einen Lutscher, und ich gehe mit dir in die Buchhandlung.»
Mit Lulu im Schlepptau kehrte ich zur Leiterin zurück. «Jetzt ist sie so weit», sagte ich munter.
Diesmal durfte ich mit in den Prüfungsraum. Die Leiterin stellte vier Bauklötze auf den Tisch und forderte Lulu auf, sie zu zählen.
Lulu sah sich die Bauklötze an, dann sagte sie: «Elf, sechs, zehn, vier .»
Mir gefror das Blut in den Adern. Ich dachte daran, Lulu zu packen und die Flucht zu ergreifen, aber die Leiterin stockte gelassen den Stapel um vier Klötze auf. «Wie ist es jetzt, Lulu – kannst du die alle zählen?»
Diesmal starrte Lulu ein bisschen länger auf den Turm, dann zählte sie: «Sechs, vier, eins, drei, null, zwölf, zwei, acht .»
Ich ertrug es nicht länger. «Lulu! Hör doch auf …»
«Nein, nein – bitte.» Mit belustigter Miene hob die Leiterin die Hand, dann wandte sie sich wieder an Lulu. «Ich seh schon, Louisa, du hast deinen eigenen Kopf, stimmt’s?»
Lulu warf mir einen flüchtigen Blick zu – sie wusste, dass ich ärgerlich war –, dann nickte sie kurz.
«Es sind wirklich acht Klötze», fuhr die Frau lässig fort.«Deine Antwort ist also richtig – auch wenn dein Weg zum Ergebnis ungewöhnlich ist. Ich finde es immer bewundernswert, wenn sich jemand seinen eigenen Weg sucht. Wir fördern das an dieser Schule durchaus.»
Ich entspannte mich und wagte wieder zu atmen. Die Leiterin war von Lulu sichtlich angetan. Lulu war überhaupt sehr beliebt – dass sie außerstande war, sich bei jemandem einzuschmeicheln, hatte etwas geradezu Magnetisches. Gott sei Dank leben wir in Amerika, sagte ich mir, wo Widerspenstigkeit geschätzt wird – sicher ein Erbe der Unabhängigkeitsbewegung. In China wäre Lulu ins Arbeitslager geschickt worden.
Ironischerweise war Lulu von ihrer New Yorker Schule bald begeistert, während es Sophia, die immer ein bisschen schüchtern war, schwerer hatte. Beim Elternsprechtag sagte uns Sophias Lehrerin, sie habe zwar nie eine bessere Schülerin unterrichtet, doch ihre Zurückgezogenheit mache ihr Sorgen – Sophia verbringe jede Mittags- und alle sonstigen Pausen allein mit einem Buch im Schulhof. Jed und ich erschraken, aber als wir Sophia fragten, beteuerte sie, dass sie gern an ihrer Schule sei.
Wir überstanden dieses Semester in New York, aber nur knapp. Ich bekam sogar ein Angebot der New York University und war nahe daran, es anzunehmen. Doch dann traten mehrere unerwartete Ereignisse ein. Eine juristische Zeitschrift druckte einen Artikel von mir, der sich mit Demokratisierung und Ethnizität in
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