Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs
lernen wie das Atmen. Ihr Konservatorium ist der ewige Rhythmus des Meeres, ist der Wind in den Bäumen, sind tausend kleine Geräusche, die sie aufmerksam in sich aufnehmen, ohne je in tyrannische Lehrbücher zu schauen.»
Ich persönlich glaube ja, dass Debussy nur eine Phase durchmachte, in der er das Exotische verehrte, nicht viel anders als seine Landsleute Henri Rousseau und Paul Gauguin, als sie anfingen, polynesische Eingeborene zu malen. Einer besonders abstoßenden Abwandlung dieses Phänomens begegnet man heute in Kalifornien, wo es Männer gibt, die ausschließlich an Asiatinnen interessiert sind, egal, aus welchem Land sie kommen, und seien sie noch so hässlich; «Gelbfieber» nennt der Volksmund diese Präferenz. (Nur nebenbei sei erwähnt, dass Jed vor mir nie eine asiatische Freundin hatte.)
Dass ich die Gamelan-Musik, die ich auf unserer Reise nach Indonesien 1992 kennengelernt habe, nicht schätzen kann, mag daran liegen, dass ich Schwierigkeiten und deren Bewältigung über alles stelle. Ich weiß nicht, wie viele hundert Mal ich Lulu angeschrien habe: «Alles, was kostbar und erstrebenswert ist, ist auch schwierig! Was glaubst du, wasich alles auf mich genommen habe, um diese Stelle in Yale zu kriegen?» Die Gamelan-Musik ist hypnotisierend, weil sie so einfach und unstrukturiert ist und auf ständigen Wiederholungen beruht. Debussys brillante Kompositionen hingegen spiegeln Komplexität, Ehrgeiz, Einfallsreichtum, Gestaltung, bewusstes Experimentieren mit Harmonien – und ja, Gamelan-Einflüsse, zumindest in manchen Werken. Es ist wie der Unterschied zwischen einer Bambushütte, die auch ihren Reiz hat, und dem Schloss von Versailles.
Auf jeden Fall lehnte ich den Gong für Lulu ab, ebenso wie die Blockflöte. Mein Instinkt befahl mir, das Gegenteil dessen zu tun, was meine Schwiegereltern mir rieten. Ich glaubte, der einzige Weg aus dem Schatten ihrer erfolgreichen Schwester bestehe für Lulu darin, ein noch schwierigeres, noch virtuoseres Instrument zu lernen. Deshalb entschied ich mich für die Violine. Der Tag, an dem ich diesen Beschluss fasste – ohne Lulu zu fragen, die Ratschläge meiner gesamten Umgebung missachtend –, war der Tag, an dem ich mein Schicksal besiegelte.
9 Die Geige
Eine verstörende Angewohnheit vieler Chinesen ist es, unverblümt ihre Kinder miteinander zu vergleichen. Als ich selbst Kind war, fand ich das nicht weiter schlimm, weil ich bei den Vergleichen immer gut wegkam. Meine Dragon-Lady-Großmutter – die reiche, die Mutter meines Vaters – stellte mich auf ungeheuerliche Weise über alle meine Schwestern. «Seht nur, was diese für eine flache Nase hat», kicherte sie bei Familientreffen, auf eine von uns deutend. «Und seht euch dagegen Amys schmale Nase mit ihrem hohen Sattel an. Ja, Amy ist eine echte Chua. Während diese hier ihrer Mutter nachschlägt und wie ein Affe aussieht.»
Zugegeben, meine Großmutter war ein extremer Fall. Aber nicht ungewöhnlich: Chinesen tun so etwas ständig. Vor kurzem war ich in einem Geschäft für chinesische Medizin, dessen Eigentümer erzählte, er habe eine sechsjährige Tochter und einen fünfjährigen Sohn. «Meine Tochter», sagte er, «sie schlau. Nur ein Problem: nicht konzentriert . Mein Sohn – er nicht schlau. Tochter schlau.» Ein anderes Beispiel berichtet mir meine Freundin Kathleen. Auf einem Tennisturnier kam sie mit einer chinesischen Mutter ins Gespräch, die gekommen war, um dem Match ihrer Tochter zuzusehen, aber von vornherein ziemlich sicher war, dass die Tochter, die in Brown studierte, verlieren werde. «Diese Tochter so schwach », sagte sie kopfschüttelnd. «Die ältere Schwester – viel besser. Sie in Harvard.»
Heute weiß ich, dass die elterliche Bevorzugung eines Kindes schlecht und destruktiv ist. Aber zur Verteidigung der Chinesen habe ich zweierlei anzuführen. Erstens: Elterliche Ungleichbehandlung kommt in allen Kulturen vor.Schon in der Genesis ist Esau der Liebling seines Vaters Isaak, während Rebekka den zweiten Sohn Jakob vorzieht. In Grimms Märchen treten häufig drei Geschwister auf, die immer völlig unterschiedlich behandelt werden. Umgekehrt haben nicht alle Chinesen einen expliziten Liebling unter ihren Kindern: In dem Märchen von den Fünf chinesischen Brüdern zum Beispiel deutet nichts darauf hin, dass die Mutter den Sohn, der das Meer trinkt, mehr liebt als etwa den Sohn mit dem eisernen Hals.
Zweitens glaube ich nicht, dass alle elterlichen
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