Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs
ihre Kinder so viel getan und geopfert haben. (Und es stimmt ja, dass chinesische Mütter persönlich in den Kampf ziehen und ungezählte nervenzermürbende Stunden mit Nachhilfe, Üben, Ausfragen und Bespitzeln der Kinder verbringen.) Jedenfalls herrscht die Auffassung, dass chinesische Kinder zeit ihres Lebens die Wohltaten der Eltern vergelten müssen, indem sie ihnen gehorchen und ihnen Grund geben, stolz zu sein. Westliche Eltern hingegen sind wohl eher selten der Meinung, ihre Kinder stünden lebenslang in ihrer Schuld. Jed zum Beispiel sieht es völlig anders als ich. «Kinder suchen sich ihre Eltern doch nicht aus», sagt er. «Schon dass sie auf der Welt sind, war nicht ihre Entscheidung. Es sind die Eltern, die ihre Kinder ins Leben geholt haben, also sind sie auch für sie verantwortlich und müssen für sie sorgen. Kinder schulden ihren Eltern gar nichts. In der Pflicht stehen sie erst gegenüber ihren eigenen Kindern.» Mir scheint das kein gutes Geschäft für westliche Eltern.
Drittens glauben chinesische Eltern, dass sie wissen, was für ihre Kinder das Beste ist, und setzen sich folglich übersämtliche Wünsche und Vorlieben ihrer Kinder hinweg. Deshalb dürfen chinesische Töchter in der Highschool keinen Freund haben und chinesische Kinder nicht ins Ferienlager, und kein chinesisches Kind würde es jemals wagen, seiner Mutter zu verkünden: «Ich darf im Schultheater mitspielen! Ich bin Dorfbewohner Nummer sechs! Ich muss jetzt jeden Tag nach der Schule von drei bis sieben zur Probe, und am Wochenende musst du mich rumfahren!» Gnade Gott jedem chinesischen Kind, das auf solche Ideen käme.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist durchaus nicht so, dass chinesischen Eltern ihre Kinder nicht am Herzen lägen. Ganz im Gegenteil: Für ihre Kinder gäben sie alles auf. Es ist einfach nur ein völlig anderes Erziehungsmodell. Ich bezeichne es als chinesisch, aber ich kenne viele nichtchinesische Eltern – meist aus Korea, Indien, Pakistan stammend –, die sehr ähnlich denken. Es könnte also auch etwas mit dem Status des Immigranten zu tun haben. Vielleicht ist es eine Kombination aus Einwanderung in die USA und der jeweiligen kulturellen Herkunft.
Jed wurde nach völlig anderen Maximen aufgezogen. Seine Eltern waren keine Einwanderer, sondern stammen beide aus orthodox jüdischen Familien, die in der Nähe von Scranton, Pennsylvania, lebten. Beide verloren in jungen Jahren die Mutter, und beide hatten eine bedrückende, unglückliche Kindheit. Nachdem sie verheiratet waren, flohen sie Hals über Kopf aus Pennsylvania und ließen sich in Washington, D. C., nieder, wo Jed und seine zwei älteren Geschwister aufwuchsen. Als Eltern waren Sy und Florence entschlossen, ihren Kindern den Raum und die Freiheit zu geben, die ihnen selbst verwehrt gewesen waren. Sie glaubten an den freien Willen des Menschen und schätzten Unabhängigkeit, Kreativität und zivilen Ungehorsam.
Zwischen meinen und Jeds Eltern lag eine ganze Welt. Jeds Eltern ließen ihm die Wahl, ob er Geigenunterricht haben wollte oder nicht (er wollte nicht und bereut es heute), und behandelten ihn als Menschen mit eigenen Ansichten. Meine Eltern ließen mir keine Wahl und fragten mich nie nach meiner Meinung. Jed durfte jedes Jahr den ganzen Sommer mit Bruder und Schwester an einem idyllischen Ort namens Crystal Lake verbringen; Jed sagt, das war die glücklichste Zeit seines Leben, und wir bemühen uns, mit Sophia und Lulu ebenfalls dorthin zu fahren, so oft es geht. Ich hingegen musste in den Ferien Programmierkurse machen – ich hasste den Sommer. (Genau wie Katrin, meine sieben Jahre jüngere Schwester und Seelenverwandte, die neben dem Programmierkurs Grammatiklehrbücher studierte und zum Zeitvertreib Satzanalyse betrieb.) Jeds Eltern waren Ästheten und Kunstsammler. Meine Eltern interessierten sich nicht für Kunst. Jeds Eltern bezahlten einen Teil seiner Ausbildung, aber nicht alles. Meine Eltern bezahlten immer alles, aber dafür erwarten sie, im Alter uneingeschränkt versorgt und mit Respekt und Ergebenheit behandelt zu werden. Jeds Eltern hatten niemals solche Erwartungen.
Jeds Eltern machten oft Ferien ohne Kinder. Sie reisten mit Freunden in gefährliche Länder wie Guatemala (wo sie beinahe entführt wurden), Zimbabwe (wo sie auf Safari gingen) und Borobudur, Indonesien (wo sie die Gamelan-Musik kennenlernten). Meine Eltern fuhren nie ohne ihre vier Kinder in Urlaub, was bedeutete, dass wir immer in wirklich billigen
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