Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs
ich.
Der Samstag war der Höhepunkt meiner Woche. Wir verbrachten den ganzen Vormittag an der Neighborhood Music School, die unter den Klängen von zwanzig verschiedenen Instrumenten vor Energie barst. Lulu hatte nicht nur ihre Geigenstunde bei Mr. Shugart, sondern ging gleich danach mit ihm zu einem Suzuki-Gruppenunterricht und anschließend zu einem Klavier-Geige-Duo mit Sophia. (Lulus Klavierunterricht, den wir nicht aufgegeben hatten, fand amFreitag statt.) Wieder zu Hause, versuchte ich trotz des dreistündigen Unterrichtsblocks oft noch eine zusätzliche Nachbereitungs-Übungssitzung einzuschmuggeln – es geht doch nichts über einen guten Einstieg in die folgende Woche! Abends, wenn Lulu schlief, las ich Abhandlungen über die Technik des Violinspiels, und ich hörte Aufnahmen von Isaac Stern, Itzhak Perlman und Midori und versuchte hinter das Geheimnis ihres Klangs zu kommen.
Ich gebe zu, das klingt nach einem überbordenden Stundenplan. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich einen Wettlauf gegen die Zeit führte. In China üben Kinder zehn Stunden am Tag. Sarah Chang spielte im Alter von acht Jahren Zubin Mehta und den New Yorker Philharmonikern vor. Jedes Jahr gewinnt wieder ein Siebenjähriges aus Lettland oder Kroatien einen internationalen Wettbewerb mit dem unsäglich schwierigen Violinkonzert von Tschaikowsky, das ich mir voller Ungeduld auch für Lulu wünschte. Außerdem war ich bereits im Nachteil, weil ich einen amerikanischen Ehemann hatte, der findet, man soll seine Kindheit genießen. Jed wollte immer Brettspiele mit den Mädchen machen oder Minigolf spielen oder, am schlimmsten, zu irgendeinem entlegenen Spaßbad voller gefährlicher Rutschen fahren. Meine Lieblingsbeschäftigung mit den Mädchen war, ihnen vorzulesen; Jed und ich taten es jeden Abend, und es war für uns alle die schönste Stunde des Tages.
Die Geige ist wirklich schwer – meiner Ansicht nach viel schwerer zu lernen als Klavier. Es fängt schon damit an, dass man das Ding ja halten muss, was beim Klavier kein Thema ist. Anders als der Laie denkt, hält nicht die linke Hand die Geige; das sieht nur so aus. Wie der berühmten Violinist und Lehrer Carl Flesch in Die Kunst des Violinspiels schreibt, muss das Instrument «auf dem Schlüsselbein» aufliegen unddort «vom linken Unterkiefer gehalten» werden, damit die linke Hand sich frei bewegen kann.
Wenn Sie denken, es muss recht unbequem sein, einen harten Gegenstand zwischen Schlüsselbein und linken Unterkiefer einzuklemmen, haben Sie recht. Fügen Sie dem noch einen hölzernen Kinnhalter und zwei Metallverschraubungen hinzu, die sich in Ihren Hals bohren, dann ist das Ergebnis der sogenannte «Geigerfleck», ein rauher, häufig entzündeter roter Abdruck unter dem Kinn, den die meisten Geiger und Bratschisten entwickeln und sogar mit Stolz tragen.
Dann die «Intonation», also die Reinheit des Tons, den Sie erzeugen – ein weiterer Grund, glaube ich, weshalb die Geige schwerer ist als das Klavier, jedenfalls für Anfänger. Beim Klavier schlagen Sie eine Taste an und bekommen einen eindeutigen, reinen Ton. Bei der Geige müssen Sie den Finger exakt auf einen bestimmten Punkt des Griffbretts plazieren – schon bei einer Abweichung von einem Millimeter ist der Ton nicht mehr sauber. Die Geige hat zwar nur vier Saiten, kann aber, in Halbtonschritten gemessen, 53 verschiedene Töne hervorbringen – und je nach verwendeter Saite und Bogentechnik unendlich viele Klangschattierungen. Häufig wird gesagt, die Violine könne jede Gefühlsregung wiedergeben und sei das Instrument, das der menschlichen Stimme am ähnlichsten ist.
Eins haben Klavier und Geige gemein – und nicht nur miteinander, sondern auch mit vielen Sportarten –, nämlich dass man nur dann außergewöhnlich gut spielen kann, wenn man wirklich entspannt ist. Genauso wie man einen phantastischen Tennisaufschlag oder Baseballweitwurf nur mit lockerem Arm hinkriegt, kann man auch auf der Geige keinen schmelzenden Ton hervorbringen, wenn man den Bogenumklammert oder zu fest auf die Saiten aufdrückt – was dieses entsetzlichen Kratzen erzeugt. «Stell dir vor, du bist eine Stoffpuppe», sagte Mr. Shugart zu Lulu. «Schlaff und total entspannt, und es ist dir alles komplett egal. Du bist so entspannt, dass dein Arm vom eigenen Gewicht schwer wird … Überlass alle Arbeit der Schwerkraft … Gut, Lulu, gut!»
«ENTSPANN DICH!», kreischte ich zu Hause. «STOFFPUPPE, sagt Mr. Shugart!» Ich bemühte mich
Weitere Kostenlose Bücher