Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs
Stück für Stück der Heilsarmee spenden würde, wenn sie den «kleinen weißen Esel» nicht am nächsten Tag perfekt spielte. Als Lulu sagte: «Ich dachte,du willst zur Heilsarmee, wieso bist du noch hier?», drohte ich ihr mit dem Entzug von Mittagessen, Abendessen, Weihnachts- und Chanukkageschenken, Geburtstagspartys für die nächsten zwei, drei, vier Jahre. Als sie immer noch falsch spielte, sagte ich, sie steigere sich ja nur deshalb in diese Hysterie hinein, weil sie insgeheim Angst habe, dass sie es nicht könne. Sie sei faul, feige, zimperlich und erbärmlich.
Jed nahm mich beiseite. Ich solle aufhören, Lulu zu beschimpfen, sagte er – dabei tat ich das gar nicht: Ich motivierte sie –, und er halte es nicht für hilfreich, ihr zu drohen. Außerdem sei es ja möglich, dass Lulu technisch einfach noch nicht so weit sei – vielleicht habe sie noch nicht das Koordinationsvermögen – ob ich das bedacht hätte?
«Du traust es ihr einfach nicht zu», warf ich ihm vor.
«Das ist lächerlich», sagte Jed verächtlich. «Selbstverständlich trau ich es ihr zu.»
«Sophia konnte dieses Stück, als sie so alt war.»
«Aber Lulu und Sophia sind zwei verschiedene Menschen», wandte Jed ein.
«O nein, nicht das schon wieder.» Ich verdrehte die Augen. «Jeder ist auf seine eigene besondere Art was Besonderes», äffte ich höhnisch das amerikanische Credo nach. «Auch Versager sind auf ihre eigene besondere Art was Besonderes. Zerbrich du dir nicht den Kopf, du musst ja keinen Finger rühren. Ich bin bereit, mich reinzuknien, solang es notwendig ist, und meinetwegen sollen sie mich beide hassen. Und du kannst gern der Angehimmelte sein, weil du ihnen Pfannkuchen machst und mit ihnen ins Stadion gehst.»
Ich krempelte die Ärmel hoch und kehrte zu Lulu zurück. Ich wandte jede Waffe und jede Taktik an, die mir einfiel. Wir arbeiteten ohne Abendessen bis in die Nacht hinein, und ich ließ Lulu nie aufstehen, sie bekam weder Wasser nochdurfte sie aufs Klo. Das Haus war zum Kriegsgebiet geworden, ich war heiser vom Schreien, und trotzdem ging es nur bergab – allmählich beschlichen sogar mich Zweifel.
Aber auf einmal, wie aus dem Nichts heraus, klappte es. Auf einmal fanden ihre Hände zueinander, Rechte und Linke spielten jeweils ihren Part, unbeirrbar – einfach so.
Lulu erkannte es in derselben Sekunde wie ich. Ich hielt den Atem an. Zögernd versuchte sie es noch einmal. Dann spielte sie es selbstsicherer und schneller, und noch immer stimmte der Rhythmus. Und jetzt strahlte sie. «Mama, schau nur – das ist ja leicht!» Danach wollte sie das Stück immer wieder spielen und war gar nicht mehr vom Flügel wegzubringen. In dieser Nacht kam sie zu mir ins Bett, und wir kuschelten uns engumschlungen aneinander und kringelten uns vor Lachen. Als sie den «kleinen weißen Esel» ein paar Wochen später auf einem Konzert vortrug, kamen Eltern zu mir und sagten: «Das ist ja das ideale Stück für Lulu – es ist so schwungvoll und lustig, so ganz sie .»
Diesmal zollte sogar Jed mir Anerkennung. Westliche Eltern sorgen sich oft um das Selbstwertgefühl ihrer Kinder. Dabei kann man doch nichts Destruktiveres für das Selbstwertgefühl eines Kindes tun, als zuzulassen, dass es aufgibt. Umgekehrt stärkt nichts das Selbstvertrauen so sehr, wie wenn man etwas zustande bringt, das man sich erst nicht zugetraut hat.
In letzter Zeit sind viele Bücher erschienen, die asiatische Mütter als manipulative, hartherzige, vom Ehrgeiz zerfressene Personen ohne Gespür für die wahren Interessen ihres Kindes darstellen. Dagegen sind viele Chinesen insgeheim überzeugt, dass sie besser für ihre Kinder sorgen und wesentlich größere Opfer zu bringen bereit sind als westliche Eltern, denen es nichts ausmacht, wenn aus ihren Kindernnichts wird. Ich denke, es liegt auf beiden Seiten ein Missverständnis vor. Alle vernünftigen Eltern wollen das Beste für ihre Kinder – die Chinesen haben nur völlig andere Vorstellungen von dem Weg dorthin.
Westliche Eltern bemühen sich, die Individualität ihrer Kinder zu respektieren, und ermutigen sie zu tun, was sie wirklich begeistert, unterstützen und bestärken sie in ihren Entscheidungen und sorgen für ein gedeihliches Umfeld. Die Chinesen hingegen sind überzeugt, dass der beste Schutz, den sie ihren Kindern bieten können, darin besteht, sie auf die Zukunft vorzubereiten, sie erkennen zu lassen, wozu sie imstande sind, und ihnen Fähigkeiten, eiserne Disziplin und
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