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Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs

Titel: Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs Kostenlos Bücher Online Lesen
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Motels wohnten. Und nachdem meine Eltern selbst aus einem Entwicklungsland stammten, wären sie nicht für viel Geld nach Guatemala, Simbabwe oder Borobudur gereist; stattdessen fuhren sie mit uns nach Europa, wo es Regierungen gibt.
    Jed und ich hatten zwar nicht ausdrücklich über das Thema verhandelt, doch letztlich übernahmen wir für unsere Töchter das chinesische Erziehungsmodell. Dafür sprachen mehrere Gründe: Nachdem ich, wie viele Mütter, die meiste Erziehungsarbeit leistete, war es sinnvoll, meinem Modell den Vorzug zu geben. Jed und ich übten zwar denselben Beruf aus, der mich in Yale ebenso beschäftigte wie ihn, aber ich war diejenige, die Hausaufgaben, Mandarin-Unterricht und sämtliche Übungssitzungen am Klavier und an der Geige beaufsichtigte. Außerdem war Jed, unabhängig von meinen Ansichten, durchaus für eine strenge Erziehung. Er beklagte sich gern über Familien, in denen die Eltern niemals nein sagen – oder, schlimmer, nein sagen und das Nein dann nicht durchsetzen. Allerdings konnte er den Mädchen zwar gut nein sagen, hatte dann aber keine positive Alternative für sie. Niemals hätte er sie gegen ihren Willen gezwungen, Klavier oder Geige zu lernen. Er traute sich nicht hundertprozentig zu, dass er die richtigen Entscheidungen für sie treffen konnte. Hier war ich gefragt.
    Aber vor allem hielten wir wohl deshalb am chinesischen Modell fest, weil die Anfangsergebnisse schwerlich zu widerlegen waren. Andere Eltern fragten uns ständig, was unser Geheimnis sei. Sophia und Lulu waren Musterkinder. In der Öffentlichkeit waren sie höflich, aufgeschlossen, entgegenkommend und wortgewandt. Sie waren A-Schülerinnen, und in Mathematik war Sophia ihren Klassenkameraden um zwei Jahre voraus. Beide sprachen fließend Mandarin. Und alle Welt staunte über ihre musikalischen Fähigkeiten. Kurzum, sie waren chinesische Kinder, wie sie sein sollen.
    Allerdings nicht ganz. Unsere erste Chinareise mit den Mädchen unternahmen wir 1999. Sophia und Lulu haben beide braunes Haar, braune Augen und unbestimmt asiatischeGesichtszüge; beide sprechen Chinesisch. Sophia isst Organe und Organismen jeglicher Art – Entenschwimmhäute, Schweineohren, Meeresschnecken: auch dies ein kritischer Aspekt der chinesischen Identität. Aber wohin wir auch in China kamen, eingeschlossen das kosmopolitische Shanghai, zogen meine Töchter eine Gruppe Schaulustiger an: Die Leute starrten, kicherten und zeigten mit dem Finger auf die «zwei kleinen Ausländerinnen, die Chinesisch können». In der Panda-Aufzuchtstation Chengdu in Sichuan, wo wir den Nachwuchs der Großen Pandas fotografierten – rosarote, sich windende, larvenähnliche Geschöpfe, die selten überleben –, fotografierten die chinesischen Touristen Sophia und Lulu.
    Als ich ein paar Monate später, wieder in New Haven, Sophia beiläufig als Chinesin bezeichnete, fiel sie mir ins Wort: «Mama, ich bin keine Chinesin!»
    «Doch.»
    «Nein, Mama – du bist die Einzige, die das glaubt. In China hält mich kein Mensch für eine Chinesin. Und in Amerika hält mich auch kein Mensch für eine Chinesin.»
    Das ärgerte mich enorm, aber ich sagte nur: «Tja, dann irren sie sich eben. Du bist Chinesin.»
    Ihren ersten großen musikalischen Erfolg hatte Sophia 2003, als sie mit zehn Jahren den Großen Konzertwettbewerb von New Haven gewann und damit das Recht erwarb, als Solistin mit einem Jugendorchester aus New Haven in der Battell Chapel der Universität Yale aufzutreten. Ich war völlig aus dem Häuschen. Ich ließ den Artikel aus der Lokalzeitung, der über Sophia berichtete, vergrößern und rahmen. Ich lud mehr als hundert Personen zum Konzert ein und begann mit der Planung für einen riesigen Empfang danach. Ich kaufte Sophia ihr erstes bodenlanges Abendkleid undneue Schuhe. Alle vier Großeltern kamen; am Tag vor dem Konzert stand meine Mutter in unserer Küche und machte Hunderte chinesische Perlenkugeln (Schweinefleischbällchen in einem Mantel aus weißem Klebreis), während Florence zehn Pfund Gravlax zubereitete (mit Meersalz gebeizter Lachs).
    Übungstechnisch liefen wir unterdessen zu Hochform auf. Sophia sollte Mozarts Rondo in D-Dur für Klavier und Orchester spielen, eines der erhebendsten Werke des Komponisten. Mozart ist bekannt dafür, dass er schwer zu spielen ist. Seine Musik ist perlend, brillant, sprudelnd, mühelos – lauter Adjektive, die den meisten Musikern den Schweiß auf die Stirn treiben. Angeblich könnten nur Junge und Alte

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