Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs
Mozart gut spielen, heißt es: die Jungen, weil sie selbstvergessen seien, und die Alten, weil sie nicht mehr versuchten, Eindruck zu schinden. Sophias Rondo war klassischer Mozart. Ihre Lehrerin Michelle sagte zu ihr: «Bei den Läufen und Trillern musst du an Champagner oder Limonade denken, an diese vielen aufsteigenden Luftbläschen.»
Sophia war jeder Herausforderung gewachsen. Sie lernte unglaublich schnell und hatte blitzschnelle Finger, und was das Beste war: Sie hörte auf alles, was ich ihr sagte.
Ich war unterdessen eine Art Exerzierfeldwebel geworden. Ich zerlegte das Rondo in Einzelteile, mal nach Abschnitt, mal nach Ziel. So beschäftigten wir uns beispielsweise eine Stunde lang nur mit der Artikulation (Reinheit der Töne), eine zweite nur mit dem Tempo (mit Hilfe des Metronoms), eine dritte nur mit der Dynamik (laut, leise, crescendo, decrescendo) und eine vierte ausschließlich mit der Phrasierung (Gestaltung musikalischer Linien) und so weiter. Wochenlang arbeiteten wir bis in die Nacht hinein. Ich sparte nicht mit scharfen Worten, und wenn sichSophias Augen mit Tränen füllten, wurde ich noch unerbittlicher.
Als der große Tag endlich kam, war ich plötzlich wie gelähmt; ich könnte selbst niemals auftreten. Aber Sophia schien sich einfach nur zu freuen. Als sie in der Battell Chapel auf die Bühne hinaustrat, um sich als Solistin zu verbeugen, strahlte sie übers ganze Gesicht, und ich sah ihr an, dass sie selig war. Und als sie dann spielte – winzig und heroisch sah sie aus, wie sie da in dem imposanten, dunkelgetäfelten Kirchenraum am Flügel saß –, drückte mir ein unbeschreiblicher Schmerz das Herz zusammen.
Danach kamen Freunde und Fremde zu Jed und mir, um uns zu beglückwünschen. Sophias Darbietung sei atemberaubend gewesen, sagten sie, ihr Spiel so elegant und anmutig. Sophia sei eindeutig für Mozart geschaffen, sagte eine strahlende Michelle zu uns, nie habe sie das Rondo so frisch und beschwingt gehört. «Sonnenklar, dass es ihr einen Riesenspaß macht», sagte Larry, der überschwengliche Leiter der Neighborhood Music School. «So gut spielt man nicht, wenn es einen nicht freut.»
Aus irgendeinem Grund erinnerte mich Larrys Bemerkung an einen viele Jahre zurückliegenden Vorfall, als Sophia eben erst angefangen hatte, ich sie aber bereits hart in die Mangel nahm. Jed hatte im Holz unseres Flügels, direkt über dem c’, einige eigenartige Kerben entdeckt. Als er Sophia darauf ansprach, schlich sich ein schuldbewusster Ausdruck in ihr Gesicht. «Was meinst du?», fragte sie betont unbeteiligt.
Jed beugte sich vor und betrachtete die Kerben genauer. «Sophia», sagte er langsam, «könnten das womöglich Bissspuren sein?»
So war es. Nach weiterer Befragung gestand Sophia, diezu dem Zeitpunkt vielleicht sechs war, dass sie häufig am Flügel nagte. Als Jed erklärte, der Flügel sei der kostbarste Gegenstand, den wir besäßen, versprach Sophia, es nicht wieder zu tun. Ich weiß nicht genau, weshalb mir Jerrys Bemerkung diese Begebenheit in Erinnerung brachte.
11 «Der kleine weiße Esel»
Hier eine Geschichte, die für das Zwangssystem chinesischen Stils spricht. Lulu war etwa sieben, spielte noch zwei Instrumente und arbeitete an einem Klavierstück des französischen Komponisten Jacques Ibert, «Le petit âne blanc». Das Stück ist wirklich reizend – man sieht ihn förmlich vor sich, den kleinen weißen Esel, wie er mit seinem Herrn eine Landstraße entlangtrottet –, aber es ist auch unglaublich schwierig für junge Klavierschüler, weil die beiden Hände zwei schizophren unterschiedliche Rhythmen spielen müssen.
Lulu schaffte es nicht. Wir arbeiteten eine Woche lang ununterbrochen daran, übten jede Hand einzeln, wieder und wieder. Aber sobald wir versuchten, die zwei Hände zusammenzubringen, verfiel immer die eine Hand in den Rhythmus der anderen, und mit dem Stück war es vorbei. Am Tag vor der nächsten Unterrichtsstunde verkündete Lulu schließlich erbittert, sie habe jetzt keine Lust mehr, und stürmte davon.
«Setz dich wieder ans Klavier», befahl ich.
«Du kannst mich nicht zwingen.»
«O doch, das kann ich.»
Wieder am Klavier, ließ Lulu mich büßen. Sie boxte, schlug und trat. Sie packte die Notenblätter und zerriss sie in Fetzen. Ich klebte die Noten wieder zusammen und schweißte sie in Plastik ein, damit sie nie wieder zerrissen werden konnten. Dann schleppte ich Lulus Puppenhaus ins Auto und teilte ihr mit, dass ich es
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