Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs
Wie sie Sophia und Lulu gern erzählte, hatte sie ihn vom Augenblick seiner Geburt an vergöttert. «Er kam einen Monat zu früh, hatte Gelbsucht und sah aus wie ein runzeliger, gelber alter Mann», sagte sie lachend. «Aber ich fand ihn vollkommen.» Jed und Florence hatten vieles gemeinsam. Er teilte den Schönheitssinn seiner Mutter und ihren Blick für das rechte Maß. Alle fanden, er sei ihr wie aus dem Gesicht geschnitten, und das war immer als Kompliment gemeint.
Als junge Frau war meine Schwiegermutter tatsächlich hinreißend. Auf dem Foto in ihrem College-Jahrbuch sieht sie aus wie Rita Hayworth, und noch mit fünfzig, in dem Alter, in dem ich sie kennenlernte, drehten sich auf Partys die Köpfe nach ihr um. Sie war geistreich und charmant, aber sie nahm auch kein Blatt vor den Mund: Man wusste immer im Voraus, welche Aufmachung sie geschmacklos finden würde, welches Essen zu üppig, welche Leute zu beflissen. Einmal, als ich in einem neuen Kostüm erschien, leuchtete ihre Miene auf, und sie sagte herzlich: «Toll siehst du aus, Amy! In letzter Zeit machst du so viel mehr aus dir!»
Florence war eine ungewöhnliche Mischung. Sie war fasziniert von grotesken Objekten und pflegte zu sagen, «Hübsches» langweile sie. Sie hatte ein sehr gutes Auge und machte ein kleines Vermögen, nachdem sie in den siebzigerJahren in Werke von relativ unbekannten modernen Künstlern investiert hatte, darunter Robert Arneson und Sam Gilliam: Alle ihre Künstler wurden irgendwann entdeckt, und Florences Erwerbungen stiegen rasant im Wert. Neid war ihr unbekannt, und wurde sie selbst beneidet, konnte sie seltsam verständnislos sein. Einsamkeit störte sie nicht; sie schätzte ihre Unabhängigkeit und hatte nach ihrer Scheidung zahlreiche Heiratsanträge von wohlhabenden, erfolgreichen Männern abgelehnt. Zwar liebte sie modische Kleidung und Vernissagen, doch das Allerliebste war ihr, im Crystal Lake zu schwimmen (wo sie als Kind jeden Sommer verbracht hatte), für alte Freunde zu kochen und, ganz besonders, mit ihren Enkelinnen Sophia und Lulu zusammen zu sein, die sie auf ihren Wunsch hin immer «Popo» genannt hatten.
Im März, nach sechswöchiger Chemotherapie, waren bei Florence jegliche Anzeichen von Krebs verschwunden. Inzwischen war sie ein zerbrechlicher Schatten ihrer selbst – ich weiß noch, wie klein sie in dem weißen Krankenhausbett wirkte, wie eine um ein Viertel verkleinerte Kopie ihrer früheren Erscheinung – aber sie hatte noch alle Haare, einen passablen Appetit und ihre alte Überschwenglichkeit. Sie war begeistert, dass sie entlassen werden sollte.
Der Krebs würde wiederkommen, das wussten wir. Die Ärzte hatten uns mehrfach darauf hingewiesen, dass die Aussichten für Florence schlecht waren. Ihre Leukämie sei aggressiv, sagten sie, binnen sechs bis zwölf Monaten sei mit einem Rückfall zu rechnen; eine Knochenmarktransplantation komme wegen ihres Alters nicht in Frage – kurz, es gebe keine Heilung. Aber Florence hatte kein Verständnis für ihre Krankheit und keine Ahnung, wie hoffnungslos die Lage war. Jed unternahm mehrere Anläufe, ihr die Prognose zu erklären, aber Florence war immer hartnäckig optimistisch undwollte nichts davon hören; es schien nichts zu ihr durchzudringen. «Du liebe Güte – wenn das alles hier vorbei ist, werde ich oft ins Fitnessstudio müssen», pflegte sie absurderweise zu sagen. «Mein gesamter Muskeltonus ist dahin.»
Wir mussten entscheiden, was kurzfristig zu tun sei. Dass sie allein in ihre Wohnung zurückkehrte, kam nicht in Frage: Sie war zu schwach, um zu gehen, und brauchte häufige Bluttransfusionen. Und sie hatte außer uns wirklich kaum Angehörige, an die sie sich wenden konnte. Mit ihrem Exmann hatte sie fast keinen Kontakt mehr, was sie selbst so wollte, und ihre Tochter wohnte viel weiter entfernt als wir.
Ich schlug also die nach meiner Ansicht naheliegende Lösung vor: Florence sollte zu uns nach New Haven kommen. Als ich klein war, hatten die alten Eltern meiner Mutter ebenfalls bei uns in Indiana gewohnt, und die Mutter meines Vaters hatte bei meinem Onkel in Chicago gelebt, bis sie mit achtundsiebzig gestorben war. Ich selber war mir immer sicher, dass ich meine Eltern eines Tages, falls es nötig sein sollte, zu mir holen würde. Bei Chinesen gehört sich das so.
Zu meiner Verwunderung war Jed nicht überzeugt. Zwar bestand kein Zweifel an seiner Zuneigung und Hingabe gegenüber Florence. Aber er rief mir in Erinnerung, dass ich oft
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