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Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs

Titel: Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs Kostenlos Bücher Online Lesen
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anderenGeigenlehrern umworben, die nach jungen Talenten Ausschau hielten.
    Aber sogar ich muss zugeben, dass es manchmal schwer auszuhalten war. Ich erinnere mich an einen Griechenlandurlaub mit meinen Eltern. Nachdem wir Athen besichtigt hatten (wo es gelang, zwischen die Akropolis und den Poseidontempel eine kleine Übungssitzung einzuschieben), flogen wir mit einer Propellermaschine auf die Insel Kreta. Gegen drei Uhr nachmittags kamen wir in unserer Pension an, und mein Vater wollte sofort aufbrechen, denn er brannte darauf, den Mädchen den Palast von Knossos zu zeigen, wo der sagenhafte König Minos den Minotauros, ein Ungeheuer mit Menschenleib und Stierkopf, in einem unterirdischen Labyrinth gefangen gehalten hatte.
    «Okay, Dad», sagte ich. «Aber zuerst müssen Lulu und ich zehn Minuten Geige üben.»
    Alles wechselte beunruhigte Blicke. «Wie wär’s, wenn ihr nach dem Abendessen übt?», schlug meine Mutter vor.
    «Nein, Mama», sagte ich bestimmt. «Lulu hat es mir versprochen, weil sie gestern früher aufhören wollte. Aber wenn sie mitmacht, dauert es wirklich nur zehn Minuten. Heute treten wir kürzer.»
    Das Elend, das nun folgte, wünsche ich wirklich niemandem: wir vier zusammengepfercht in einem beengten Zimmer, Jed auf dem Bett ausgestreckt und verbissen auf eine alte Ausgabe der Herald Tribune starrend, Sophia lesend im Bad verschanzt, meine Eltern wartend unten im Foyer, wo sie fürchteten, die anderen Gäste könnten mitbekommen, wie Lulu und ich keiften und schrien und uns gegenseitig provozierten («Das war schon wieder ein b , Lulu.» – «Gar nicht wahr, es war ein h , du hast doch keinen blassen Schimmer!»), aber auch nicht wagten, sich einzumischen. Natürlichkonnte ich nicht nach zehn Minuten aufhören, denn Lulu hatte keine einzige Tonleiter ordentlich gespielt. Es endete damit, dass Lulu tränenüberströmt und fuchsteufelswild, Jed zugeknöpft, meine Eltern todmüde waren – und der Palast von Knossos geschlossen hatte.
    Ich weiß nicht, wie meine Töchter in zwanzig Jahren auf das alles zurückblicken werden. Werden sie ihren Kindern sagen: «Meine Mutter war eine Kontrollfanatikerin, die uns sogar in Indien erst mal zum Üben zwang, bevor wir Bombay und Neu-Delhi sehen durften»? Oder werden sie angenehmere Erinnerungen haben? Vielleicht erinnert sich Lulu daran, wie schön sie in Agra, vor dem Bogenfenster eines Hotels mit Blick auf das Tadsch Mahal, den ersten Satz des Violinkonzerts von Bruch spielte; an diesem Tag gab es aus irgendeinem Grund – wahrscheinlich Jetlag – keinen Streit. Und Sophia – wird sie sich mit Bitterkeit daran erinnern, wie ich sie in Barcelona am Klavier niedermachte, weil sie die Finger nicht hoch genug von den Tasten hob? Wenn ja, dann hoffe ich, sie erinnert sich auch an Rocquebrune, ein Dörfchen auf einer Felsklippe in Frankreich, wo der Geschäftsführer unseres Hotels Sophia üben hörte und sie einlud, abends im Restaurant zu spielen. In einem Raum mit Panoramafenstern hoch über dem Mittelmeer trug Sophia Mendelssohns Rondo Capriccioso vor und erntete Bravorufe und Umarmungen von sämtlichen Gästen.

15     Popo
     
     
    Florence
     
    Im Januar 2006 rief meine Schwiegermutter Florence aus ihrer Wohnung in Manhattan an. «Ich hatte gerade einen Anruf aus der Praxis meines Arztes», sagte sie in eigenartigem, leicht empörtem Ton, «und jetzt heißt es, ich hätte akute Leukämie .» Erst zwei Monate zuvor hatte man einen Brustkrebs im Frühstadium bei ihr festgestellt, aber unverwüstlich, wie sie war, hatte sie OP und Bestrahlung klaglos hinter sich gebracht. Zuletzt hatte ich von ihr gehört, jetzt sei alles in Ordnung, sie sei in die New Yorker Kunstszene zurückgekehrt und denke daran, ein zweites Buch zu schreiben.
    Es schnürte mir den Magen zusammen. Florence stand kurz vor ihrem Fünfundsiebzigsten, sah aber aus wie sechzig. «Das kann doch nicht stimmen, Florence, das ist bestimmt ein Missverständnis», sagte ich einfältig. «Warte, ichhol dir Jed ans Telefon, er wird sich erkundigen, was da los ist. Mach dir keine Sorgen. Alles wird gut.»
    Nichts wurde gut. Eine Woche nach unserem Gespräch lag Florence im New York Presbyterian Hospital und begann mit einer Chemotherapie. Nach stundenlanger qualvoller Recherche und Einholung von Dritt- und Viertmeinungen hatte sich Florence mit Jeds Hilfe für die weniger brutale Arsenbehandlung entschieden, deren Nebenwirkungen angeblich geringer sind. Florence hörte immer auf Jed.

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