Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs
brachte sie nach New Haven, wo er sie in den ersten Stock hinauftrug. Florence war hellauf begeistert und glücklich, als wären wir alle gemeinsam im Urlaub. Sie wohnte in unserem Gästezimmer, neben dem Zimmer der Mädchen und nur eine Flurlänge von unserem Schlafzimmer entfernt. Wir stellten eine Pflegerin ein, die für sie kochte und sie versorgte, und es gab ein ständiges Kommen und Gehen von Physiotherapeuten. Fast jeden Abend aßen Jed, die Mädchen und ich mit ihr – die ersten paar Wochen, als sie nicht herunterkommen konnte, oben in ihrem Zimmer. Einmal lud ich ein paar ihrer Freunde zu einer kleinen Party ein, für die ich Wein und Käse besorgte. Als Florence meine Käseauswahl sah, war sie entgeistert und schickte mich mit einer neuen Liste noch einmal los. Statt mich zu ärgern, war ich froh, dass sie nach wie vor dieselbe war und dass ihr feiner Geschmack auch in den Genen meiner Töchter steckte. Und ich merkte mir, welchen Käse man auf keinen Fall kaufen durfte.
Zwar gab es immer wieder Augenblicke des Schreckens – Jed musste seine Mutter mindestens zweimal in der Woche ins Krankenhaus von New Haven bringen –, doch schien sich Florence in unserem Haus auf wundersame Weise zu erholen. Sie hatte mächtigen Appetit und nahm rasch zu. An ihrem Geburtstag, dem 3. Mai, konnten wir alle zusammen ein schönes Restaurant besuchen. Auch unsere Freunde Henry und Marina kamen mit und konnten nicht fassen,dass das dieselbe Florence sein sollte, die sie sechs Wochen zuvor im Krankenhaus erlebt hatten. In einer hochgeschlossenen, asymmetrischen Issey-Miyake-Jacke war sie strahlend wie eh und je, und man sah ihr die Krankheit nicht an.
Nur ein paar Tage später, am 7. Mai, hatte Sophia bei uns zu Hause ihre Bat Mizwa. Frühmorgens am selben Tag war wieder eine Krise eingetreten, und Jed hatte Florence zu einer Nottransfusion ins Krankenhaus bringen müssen. Aber sie waren rechtzeitig zurück, und als die achtzig Gäste eintrafen, war Florence wieder großartig in Form. Nach der Zeremonie saßen wir unter strahlend blauem Himmel an Tischen mit weißen Tulpen und aßen Arme Ritter, Erdbeeren und Dim Sum – Sophia und Popo hatten das Menü geplant –, und Jed und ich wunderten uns, wie viel es kostet, wenn etwas schlicht und unprätentiös sein soll.
Eine Woche später fühlte sich Florence so weit wiederhergestellt, dass sie in ihre New Yorker Wohnung zurückkehren wollte, vorausgesetzt, die Pflegerin käme mit. Eine weitere Woche später, am 21. Mai, starb sie in ihrer Wohnung, offenbar an einem Schlaganfall, der sofort tödlich war. Sie hatte am Abend mit Freunden ausgehen wollen und nicht geahnt, wie knapp bemessen ihre Zeit war.
Auf der Beerdigung lasen Sophia und Lulu die Texte vor, die sie selbst geschrieben hatten. Lulu sagte unter anderem:
Als Popo letzten Monat bei uns wohnte, war ich viel mit ihr zusammen; wir aßen oft miteinander, spielten Karten oder unterhielten uns nur. Zwei Abende verbrachten wir allein miteinander – da waren wir uns gegenseitig «Babysitter». Sie war krank und konnte nicht gut laufen, aber sie machte mir überhaupt keine Angst. Sie war sehr stark. Wenn ich an Popo denke,dann denke ich sie mir glücklich und lachend. Sie war so gern glücklich, und davon wurde ich auch glücklich. Ich werde sie wirklich sehr vermissen.
Und Sophia sagte unter anderem:
Popo wollte immer geistige Anregung, vollständiges Glück – sie wollte aus jeder Minute das Maximum an Lebenslust und Gedanken herausholen. Und ich glaube, das hat sie geschafft, bis ganz zuletzt. Ich hoffe, das lerne ich irgendwann auch.
Als ich Sophia und Lulu diese Worte sagen hörte, kamen mir mehrere Gedanken. Ich war stolz und froh, dass Jed und ich Florence nach chinesischer Gepflogenheit zu uns genommen und die Mädchen es miterlebt hatten. Ich war auch stolz und froh, dass sich Sophia und Lulu an der Pflege ihrer Großmutter beteiligt hatten. Aber die Formulierungen «war so gern glücklich» und «vollständiges Glück» gingen mir nicht aus dem Sinn, und ich fragte mich, ob die Mädchen irgendwann in der Zukunft, wenn mein Leben zu Ende geht, auch mich zu sich nach Hause holen werden, um dasselbe für mich zu tun – oder ob sie sich für Glück und Unbeschwertheit entscheiden.
Glück ist kein Begriff, mit dem ich mich näher zu befassen pflege. In der chinesischen Erziehung kommt der Zustand des Glücklichseins nicht vor. Das hat mir immer Sorgen gemacht. Wenn ich die von Klavier
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