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Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs

Titel: Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs Kostenlos Bücher Online Lesen
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Schwierigkeiten mit ihr gehabt hätte und wütend auf sie gewesen sei; dass sie und ich völlig konträre Meinungen über Kindererziehung hätten; dass wir beide starke Persönlichkeiten seien; und dass Florence, selbst wenn sie schwer krank sei, wohl kaum mit ihrer Meinung hinter dem Berg halten werde. Ich solle mir nur vorstellen, wie es wäre, wenn Lulu und ich wieder mal einen unserer tobenden, erbitterten Kämpfe ausfochten und Florence es für nötig hielt, zugunsten ihrer Enkelin zu intervenieren.
    Jed hatte natürlich recht. Florence und ich waren jahrelang bestens miteinander ausgekommen – sie führte mich in die Welt der modernen Kunst ein, und ich begleitete sie mit Begeisterung ins Museum und zu Vernissagen –, aber mit Sophias Geburt fingen die Konflikte an. Eigentlich wurden mir manche unüberbrückbaren Unterschiede zwischen chinesischem und westlichem Erziehungsstil (jedenfalls einer bestimmten Spielart davon) überhaupt erst durch die Zusammenstöße mit meiner Schwiegermutter bewusst. Florence hatte vor allem Geschmack. Sie war eine Kunstkennerin und Feinschmeckerin. Sie liebte luxuriöse Stoffe und dunkle Schokolade. Wenn wir von Reisen zurückkehrten, fragte sie die Mädchen immer nach den Farben und Gerüchen, denen sie im fernen Land begegnet waren. Entschiedene Ansichten hatte sie auch in Bezug auf die Kindheit: Sie fand, dass die Kindheit eine Zeit der Spontaneität und Freiheit, der Entdeckungslust und Abenteuer sein müsse.
    Am Crystal Lake sollten ihre Enkelinnen schwimmen, laufen, sich frei bewegen, wo immer sie wollten. Von mir hingegen bekamen sie zu hören, dass sie zweifellos von Kindesentführern geholt würden, wenn sie sich weiter als bis zur vorderen Veranda wagten; außerdem gebe es in den tiefen Bereichen des Sees bösartige, bissige Fische. Vermutlich bin ich zu weit gegangen, aber Sorglosigkeit bedeutet manchmal eben auch Achtlosigkeit. Einmal, als wir alle am See Ferien machten, ließen wir Sophia für ein paar Stunden in Florences Obhut zurück, und als wir zurückkamen, fanden wir unsere zweijährige Tochter mit einer Gartenschere, die fast so groß war wie sie, ganz allein draußen herumlaufen. Wütend riss ich ihr die Schere aus der Hand. «Sie wollte uns einen Strauß Wildblumen schneiden», sagte Florence wehmütig.
    Die Wahrheit ist, dass es mir schwerfällt, das Leben leichtzunehmen. Das ist eine meiner Schwächen. Ich führe jede Menge Aufgabenlisten und hasse Massagen und Karibikurlaube. Für Florence war die Kindheit eine Zeit, die viel zu schnell vorbei ist und die man genießen soll, so gut es geht. Ich hingegen sah die Kindheit als Trainingsphase, als die Zeit der Charakterbildung und der Investitionen in die Zukunft. Florence wollte immer nur eins: mit jedem Mädchen je einen ganzen Tag verbringen – immer wieder bat sie mich darum. Aber ich hatte nie einen ganzen Tag zu verschenken. Die Mädchen hatten ohnehin nicht genügend Zeit für ihre Hausaufgaben, ihre Chinesischkonversation und ihre Instrumente.
    Florence liebte Widerspruchsgeist und moralische Zwickmühlen. Und sie sah gern komplexe psychologische Zusammenhänge. Im Allgemeinen stimmte ich darin mit ihr überein, aber nicht, wenn es um meine Kinder ging. «Sophia ist so eifersüchtig auf ihre neue Schwester», sagte sie einmal kichernd kurz nach Lulus Geburt. «Am liebsten würde sie Lulu dorthin zurückschicken, wo sie hergekommen ist.»
    «Absolut nicht», fuhr ich sie an. «Sophia liebt ihre neue Schwester.» Ich war überzeugt, dass Florence die geschwisterliche Rivalität überhaupt erst stiftete, indem sie danach suchte. Im Westen kennt man alle möglichen psychologischen Störungen, die in Asien nicht existieren.
    Weil ich Chinesin bin, hatte ich so gut wie nie offene Auseinandersetzungen mit Florence. Unsere erwähnten «Zusammenstöße» spielten sich so ab, dass ich hinter ihrem Rücken bei Jed über sie lästerte und mich beklagte. Ihr gegenüber war ich immer entgegenkommend und nahm ihre zahlreichen Ratschläge mit geheucheltem Wohlwollen auf. Jed hatte mit seinem Einwand also sehr recht, zumal er der Hauptleidtragende des Konflikts war.
    Aber das spielte alles keine Rolle, denn Florence war Jeds Mutter. Wenn es um die Eltern geht, gibt es für Chinesen keine Alternative. Die Eltern sind die Eltern, man verdankt ihnen alles (auch wenn dem nicht so ist), und man muss alles für sie tun (auch wenn es das eigene Leben ruiniert).
    Anfang April holte Jed seine Mutter aus dem Krankenhaus und

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