Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs
, dachte ich.
«Sophia», fuhr Professor Yang fort, «dieses Ballett wurde für ein ganzes Orchester komponiert. Als Pianistin musst du den Klang jedes einzelnen Instruments wiedergeben. Also, was ist Julia, und was ist Romeo?»
Unschlüssig klimperte ich die ersten paar Takte des jeweiligen Themas. «Julia ist … vielleicht Flöte. Und Romeo … Cello?»
Die Julia ist ein Fagott, erfuhr ich. Mit Romeo hatte ich allerdings recht, in Prokofjews ursprünglicher Orchesterfassung wird sein Thema wirklich vom Cello gespielt. Romeos Charakter fand ich immer leichter zu verstehen; warum, weiß ich nicht – es hat eindeutig nichts mit realen Erfahrungen zu tun. Vielleicht tat er mir einfach leid. Schließlich war er dem Untergang geweiht, und er war doch so hoffnungslos in Julia verliebt. Schon die geringste Andeutung ihres Themas ließ ihn bettelnd auf die Knie sinken.
Während die Julia mir lange entwischte, war mir immer klar, dass ich Romeo früher oder später zu fassen bekäme. Seine Launenhaftigkeit verlangte eine Reihe unterschiedlicher Spieltechniken. Manchmal war er volltönend und selbstsicher. Nur ein paar Takte später verfiel er in Verzweiflung und begann zu flehen. Ich versuchte meine Hände so zu trainieren, wie Professor Yang sagte. Es war schwer genug, mit Julia sowohl Sopran als auch Primaballerina zu sein; jetzt musste ich auch noch Klavier spielen wie ein Cellist.
Den Schluss von Sophias Schulaufsatz spare ich für ein späteres Kapitel auf.
Der Wettbewerb, auf den Sophia sich vorbereitete, richtete sich an junge Pianisten aus aller Welt, die noch keine professionelle Karriere eingeschlagen hatten. Einigermaßenungewöhnlich daran war, dass man dabei nicht live vor Zuhörern spielte: Über die Gewinner wurde ausschließlich aufgrund einer 15-minütigen CD-Aufnahme eines nach Belieben zusammengestellten Repertoires für Klavier entschieden. Wei-Yi fand, dass Sophias CD unbedingt mit ihrer «Julia als junges Mädchen» beginnen musste, worauf «Die Straße erwacht» folgen sollte, ein weiteres kurzes Stück aus Romeo und Julia . Wie der Kurator einer Ausstellung wählte er mit Bedacht die weiteren Werke aus – eine Ungarische Rhapsodie von Liszt und eine Beethoven-Sonate aus der mittleren Periode, die den Schluss bilden sollte.
Nach acht zermürbenden Wochen verkündete Wei-Yi, wir seien jetzt so weit. An einem Dienstagabend, als Sophia mit ihren Hausaufgaben fertig war und geübt hatte, fuhren wir zum Studio eines professionellen Toningenieurs, um Sophias CD aufzunehmen. Es wurde eine grauenhafte Erfahrung. Worauf ich überhaupt nicht gefasst gewesen war: Ich dachte, eine Einspielung müsste doch ganz einfach sein, wir könnten das Stück einfach so oft wiederholen, wie nötig ist, um eine perfekte Version aufzunehmen. Weit gefehlt. Dem standen drei Hürden im Weg: 1. Pianistenhände werden müde; 2. es ist extrem schwer, musikalisch zu spielen, wenn kein Publikum da ist und man zugleich weiß, dass jeder Ton aufgezeichnet wird, und 3. klangen die Stücke, je öfter Sophia sie wiederholte und jedes Mal ihr Bestes gab, um Gefühle hineinzulegen, wie sie mir unter Tränen erklärte, nur umso hohler.
Das Allerschwierigste war unvermeidlich die letzte Seite – manchmal die letzte Zeile. Es war, als sähe man einer olympischen Eiskunstläuferin zu, die beste Aussichten auf die Goldmedaille hat, wenn sie nur auch noch ihre allerletzten Sprünge fehlerlos bewältigt. Der Druck wächst ins Unerträgliche.Das ist es, denkt man, jetzt hat sie’s geschafft. Und dann, beim letzten Dreifach-Axel, der Sturz, der sie mit gespreizten Armen und Beinen quer über die Eisfläche schlittern lässt.
Etwas Ähnliches passierte mit Sophias Beethoven-Sonate, die einfach nicht richtig gelingen wollte. Nach der dritten Aufnahme, als Sophia gegen Ende zwei ganze Zeilen ausließ, legte mir Istvan, der Toningenieur, behutsam nahe, kurz rauszugehen, um Luft zu schnappen. Istvan war sehr cool: schwarze Lederjacke, schwarze Skimütze und schwarze Clark-Kent-Brille. «Ein Stück die Straße hinunter ist ein Café», fügte er hinzu. «Vielleicht bringen Sie Sophia eine heiße Schokolade. Und ich könnte einen Kaffee vertragen.» Als ich eine Viertelstunde später mit den Getränken wiederkam, packte Istvan zusammen, und Sophia lachte. Sie sagten, sie hätten einen recht passablen Beethoven aufgenommen – nicht fehlerfrei, aber sehr musikalisch –, und ich war zu erleichtert, um Fragen zu stellen.
Die CD mit
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