Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs
Molltonleitern und gebrochene Akkorde über drei Oktaven, ferner eine Etüde, einen langsamen und einen schnellenKonzertsatz und ein weiteres, kontrastierendes Stück zu spielen – natürlich alles auswendig. Das eigentliche Vorspiel findet, ohne Eltern, vor einer Jury aus fünf bis zehn Dozenten statt, die jeden beliebigen Teil aus jedem beliebigen Stück in beliebiger Reihenfolge verlangen und den Vortrag jederzeit abbrechen können. Der Fachbereich Violine zählt große Namen wie Itzhak Perlman und Glenn Dicterow, den Konzertmeister der New Yorker Philharmoniker, zu seinem Lehrkörper, außerdem einige der prominentesten Lehrer für junge Geiger aus aller Welt. Wir hatten eine Dozentin namens Naoko Tanaka im Auge, die wie Mrs. Vamos äußerst gefragt war – vor ihrem Studio standen Schüler aus allen Erdteilen Schlange. Von Miss Tanaka wussten wir, weil Kiwon neun Jahre lang ihre Schülerin gewesen war, bis sie mit siebzehn zu Mrs. Vamos wechselte.
Lulu vorzubereiten war in diesem Fall ganz besonders schwierig, weil sie nach wie vor der Meinung war, dass sie nie im Leben dort vorspielen würde. Nach allem, was sie von Kiwon gehört hatte, war ihr allein der Gedanke daran zutiefst zuwider. Sie wusste, dass manche Bewerber nur wegen des Vorspiels, auf das sie jahrelang hingearbeitet haben, aus China, Südkorea und Indien einflogen. Andere hatten schon zwei-, dreimal vorgespielt und waren immer wieder abgelehnt worden. Wieder andere nahmen bereits Privatstunden bei Dozenten des Konservatoriums.
Ich hielt mich diplomatisch bedeckt. «Am Ende ist es deine Entscheidung, Lulu», log ich. «Wir bereiten es vor, und wenn du dann wirklich nicht willst, musst du nicht vorspielen.» An anderen Tagen dozierte ich: «Man darf sich nie vor irgendwas drücken, nur weil man sich fürchtet. Ich habe meine größten Leistungen dann zustande gebracht, wenn ich vorher vor Angst beinahe gestorben bin.» Zur Steigerung derProduktivität engagierte ich nicht nur Kiwon viele Stunden täglich, sondern auch eine reizende Yale-Studentin namens Lexie, von der Lulu bald in den höchsten Tönen schwärmte. In technischer Hinsicht war ihr Kiwon zwar überlegen, doch spielte sie im Yale-Orchester, und die Musik liebte sie aufrichtig. Geistig wie philosophisch übte sie einen wunderbaren Einfluss auf Lulu aus. Sie stellte Fragen. Häufig redeten die beiden miteinander über ihre Lieblingskomponisten und -konzerte, überschätzte Geiger und unterschiedliche Interpretationen der Stücke, an denen Lulu arbeitete. Nach solchen Gesprächen war Lulu immer zum Üben motiviert.
Ich hielt unterdessen nach wie vor meine Vorlesungen in Yale und steckte in der Endphase eines zweiten Buchs, das sich mit den größten Weltreichen der Geschichte und dem Geheimnis ihres Erfolgs befasste. Außerdem war ich ständig auf Reisen und hielt Vorträge über Demokratisierung und ethnische Konflikte.
Eines Tages, als ich in irgendeinem Flughafen auf den Rückflug nach New Haven wartete, sah ich auf meinem Blackberry, dass die Veranstalter von Sophias Klavierwettbewerb gemailt hatten. Minutenlang war ich wie gelähmt. Endlich ertrug ich es nicht länger und ließ mir die Nachricht anzeigen.
Sophia gehörte zu den ersten Preisträgern. Sie würde in der Carnegie Hall auftreten! Es gab nur ein Problem: Sophias Konzert in der Carnegie Hall war genau am Abend vor Lulus Vorspiel an der Juilliard School.
21 Debüt und Vorspiel
Sophia in der Carnegie Hall, 2007
Der große Tag kam – Sophias Auftritt in der Carnegie Hall. Diesmal ließ ich wirklich alle Hemmungen fallen. Ich hatte mit Jed gesprochen, und wir hatten beschlossen, auf unseren Winterurlaub zu verzichten. Bei Barney’s in New York – für dieses Ereignis war David’s Bridal nicht gut genug – hatten wir Sophia einkleiden lassen und ein bodenlanges Abendkleid aus anthrazitfarbenem Satin erstanden. Für den anschließenden Empfang hatte ich die Fontainebleau-Suite im St. Regis-Hotel in New York reserviert, wo wir auch zwei Zimmer für zwei Nächte gebucht hatten. Neben Sushi, Krebsbällchen, gefüllten Teigtaschen, Quesadillas, einer Austernbar und Riesengarnelen in eisgekühlten Silberschalen bestellte ich eine «Rinderfiletstation», eine «Pekingentenstation» und eine «Pastastation» für die jungen Leute (die zahlreich waren). In letzter Minute ließ ichauch noch Gruyère-Profiteroles, sizilianische Reisbällchen mit Waldpilzen und eine riesige «Dessertstation» kommen.
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