Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs
sämtlichen Versuchen, die Sophia eingespielt hatte, brachten wir Wei-Yi, der unter allen Versionen die Endauswahl traf («den ersten Prokofjew, den dritten Liszt und den letzten Beethoven bitte»). Istvan schnitt daraufhin die Bewerbungs-CD, und wir sandten sie ein.
Und dann hieß es warten.
20 Wie man es in die Carnegie Hall schafft, Teil 2
Nun war Lulu an der Reihe! Für eine chinesische Mutter gibt es weder Rast noch Ruhe, keine Regeneration, keine Möglichkeit, sich für ein paar Tage mit Freundinnen in ein kalifornisches Schlammbad zu verabschieden. Während wir warteten, was die Jury zu Sophias Bewerbung sagte, wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder Lulu zu, die damals elf war, und ich hatte eine großartige Idee: Wie Mrs. Vamos gemeint hatte, sollte Lulu für das Pre-College-Programm der Juilliard School in New York vorspielen, das sich an musikalisch hochbegabte Kinder und Jugendliche zwischen zirka sieben und achtzehn richtet. Kiwon fand zwar, Lulu sei technisch noch nicht ganz so weit, aber ich war zuversichtlich, dass wir das alles aufholen konnten.
Jed war damit nicht einverstanden und versuchte mich umzustimmen. Das Juilliard-Pre-College ist berüchtigt intensiv. Jedes Jahr kommen Tausende hochtalentierter junger Leute aus aller Welt – vor allem aus Asien, in letzter Zeit aber auch aus Russland und Osteuropa – und bewerben sich um eine Handvoll Plätze. Sie kommen entweder, weil sie davon träumen, Berufsmusiker zu werden, oder weil ihre Eltern davon träumen, dass sie Berufsmusiker werden, oder, drittens, weil ihre Eltern denken – zu Recht –, dass die Aufnahme bei Juilliard ihre Aussichten, an einer Ivy-League-Universität unterzukommen, erheblich verbessert. Die wenigen Glückspilze, die genommen werden, studieren jeden Samstag neun bis zehn Stunden an der Juilliard School.
Natürlich war Jed nicht erpicht darauf, jeden Samstag im Morgengrauen aufzustehen, um nach New York zu fahren,aber ich hatte schon versprochen, dass ich das übernähme. Was ihm wirklich Sorgen machte, war die Dampftopfatmosphäre und Ellbogenmentalität, für die Juilliard berüchtigt ist. Er fand, es täte Lulu nicht gut. Lulu sah das genauso. Anders gesagt, sie machte uns mit unverblümten Worten klar, dass sie nicht vorspielen wollte und auf keinen Fall dort hinginge, selbst wenn man sie nähme. Aber Lulu will nie etwas tun, was ich ihr vorschlage, und deshalb ging ich über ihren Protest hinweg.
Es gab noch einen anderen Grund, weshalb Jed das Juilliard-Programm für keine gute Idee hielt: Vor vielen Jahren war er selbst dort Student gewesen. Nach seinem Abschluss in Princeton hatte man ihn an der Juilliard-Schauspielschule aufgenommen, die bekanntlich noch unzugänglicher ist als das weltberühmte Konservatorium. Jed zog also nach New York City und studierte an der Schauspielschule, wo Kelly McGillis ( Top Gun ), Val Kilmer ( Batman ) und Marcia Cross ( Desperate Housewives ) zu seinen Kommilitonen zählten. Er ging mit Balletttänzerinnen aus, lernte die Alexander-Technik und spielte die Titelrolle in König Lear .
Und dann wurde er wegen «Insubordination» hinausgeworfen. Er spielte den Lopachin in Tschechows Kirschgarten , und die Regisseurin gab ihm eine Spielanweisung, mit der er nicht einverstanden war: Er widersprach ihr und löste damit einen Wutanfall bei ihr aus; sie brach Bleistifte entzwei und tobte, sie könne nicht mit Leuten zusammenarbeiten, «die einfach dastehen, überheblich grinsen und jedes Wort von mir kritisieren». Zwei Tage später erhielt Jed vom Direktor der Schauspielschule (der zufällig der Ehemann der beleidigten Regisseurin war) die Aufforderung, sich etwas anderes zu suchen. Nach einem Intermezzo als Kellner in New Yorkhatte er dieses andere gefunden, es war die juristische Fakultät von Harvard.
Vielleicht weil ich überzeugt bin, dass es eine Wende zum Guten war – Jed und ich hätten uns nicht kennengelernt, wenn er in Juilliard geblieben wäre –, erzähle ich die Geschichte auf sämtlichen Partys und habe immer großen Erfolg damit, vor allem nachdem ich gewisse Verschönerungen vorgenommen habe. Dass ein Juraprofessor in Juilliard war und Kevin Spacey kannte (der ein paar Jahrgänge über Jed war), finden die Leute anscheinend cool. Auch an der Gehorsamsverweigerung samt Hinauswurf ist etwas dran, das die Amerikaner beeindruckt.
Bei meinen Eltern hingegen kam die Geschichte, als wir sie ihnen erzählten, überhaupt nicht gut an. Wir waren damals noch
Weitere Kostenlose Bücher