Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs
Begeisterung und konnte es nicht erwarten, mit dem Üben anzufangen – was für eine Chance! Ich wusste, dass Mrs. Vamos von lauter getriebenen Asiaten umringt war, und war umso entschlossener, sie zu verblüffen, ihr zu zeigen, aus welchem Holz wir geschnitzt sind.
In dem Moment, als ich die Noten hervorholte, sah ich Lulu in einen behaglichen Sessel sinken. «Aaaah!», seufzte sie zufrieden und lehnte den Kopf zurück. «Das war ein guter Tag. Jetzt Abendessen!»
«Abendessen?» Wieder traute ich meinen Ohren nicht. «Lulu, Mrs. Vamos hat dir eine Aufgabe gestellt. Sie will wissen, wie schnell du vorankommen kannst. Das ist kein Spiel, sondern immens wichtig! Los, steh jetzt auf. Fangen wir an.»
«Was soll das heißen, Mama? Ich habe heute fünf Stunden gespielt.» Das stimmte: Sie hatte den ganzen Vormittag, bis zu dem Augenblick, als wir zu Mrs. Vamos aufbrechen mussten, Geige geübt. «Ich brauch eine Pause. Ich kann jetzt nicht mehr spielen. Außerdem ist es schon halb sechs. Essenszeit.»
«Halb sechs ist keine Essenszeit. Wir üben erst und belohnen uns dann mit einem Abendessen. Ich hab schon bei einem Italiener einen Tisch für uns bestellt – und du isst doch so gern italienisch.»
«O nein!» , jaulte Lulu. «Das kann nicht dein Ernst sein! Wie viel Uhr?»
«Was, wie viel Uhr?»
«Für wann hast du den Tisch bestellt?»
«Ah! Neun Uhr», antwortete ich und bedauerte es sofort.
«NEUN? NEUN ?? Das ist wahnsinnig! Auf keinen Fall. Auf gar keinen Fall!»
«Lulu, ich kann es vorverlegen auf …»
«DAS KOMMT ÜBERHAUPT NICHT IN FRAGE! Ich kann jetzt nicht üben. Ich übe nicht!»
Auf die weiteren Details verzichte ich – zwei Fakten mögen genügen: Erstens, wir aßen nicht vor neun. Zweitens, wir übten nicht. Im Nachhinein betrachtet, weiß ich nicht, wo ich die Kraft und den Schneid herhatte, mich auf einen Kampf mit Lulu einzulassen. Allein bei der Erinnerung an diesen Abend überkommt mich Erschöpfung.
Aber es war nicht alles verloren, denn am nächsten Morgen stand Lulu auf und machte sich aus freien Stücken mit Kiwon an die Arbeit. Jed legte mir mit den unmissverständlichsten Worten nahe, mit Coco rennen zu gehen, möglichst weit und möglichst lang; was ich tat. Mittags fuhren wir zu Mrs. Vamos, Kiwon begleitete uns, und die Stunde verlief sehr gut.
Ich hatte ja gehofft, dass Mrs. Vamos womöglich sagen würde: «Ich möchte Lulu gern als Schülerin aufnehmen. Besteht die Möglichkeit, dass sie einmal im Monat nach Chicago zum Unterricht kommt?» Worauf ich gesagt hätte, ja, selbstverständlich. Stattdessen fand Mrs. Vamos, Lulu solle das ganze nächste Jahr intensiv mit Kiwon als Lehrerin arbeiten. «Sie finden niemanden mit einer besseren Technik als Kiwon», sagte Mrs. Vamos und lächelte ihrer ehemaligen Schülerin zu. «Und Lulu, du hast eine Menge aufzuholen. Aber in einem Jahr oder so könntest du dir überlegen, dich um Aufnahme ins Pre-College-Programm der Juilliard School zu bewerben. Kiwon, das hast du doch auch getan, oder? Die Konkurrenz ist zwar enorm, aber wenn du dich sehr anstrengst, Lulu, dann schaffst du es bestimmt. Und natürlich hoffe ich, dass du mich nächsten Sommer wieder besuchst.»
Ehe wir nach New Haven zurückkehrten, fuhren wir zuviert in ein Naturschutzgebiet, wo es einen wunderschönen Weiher inmitten eines Birkenhains gab; es war ein von kleinen Wasserfällen umringter Teich, den uns der Hotelbesitzer als einen der verborgenen Schätze der Gegend angepriesen hatte. Coco fürchtete sich vor dem Wasser – sie war noch nie geschwommen –, aber Jed zog sie behutsam bis in die tiefe Mitte des Weihers und ließ sie dann los. Ich sah Coco schon ertrinken, aber genau wie Jed vorhergesagt hatte, paddelte sie furchtlos und unbeirrt ans Ufer zurück, wo wir sie jubelnd und applaudierend in Empfang nahmen, abtrockneten und stürmisch umarmten.
Das ist der eine große Unterschied zwischen einem Hund und einer Tochter, dachte ich später. Ein Hund tut etwas, wozu jeder Hund imstande ist – Paddeln zum Beispiel –, und wir klatschen ihm stolz und froh Beifall. Man stelle sich vor, wie viel leichter es wäre, wenn wir mit Töchtern genauso umgehen könnten! Aber wir können nicht; das wäre Vernachlässigung.
Ich musste am Ball bleiben. Mrs. Vamos’ Botschaft war kristallklar gewesen. Jetzt begann der Ernst des Lebens.
19 Wie man es in die Carnegie Hall schafft
Sophia und ihre Zuchtmeisterin (mit meinem Vater als
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