Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs
Und ich druckte Einladungen und verschickte sie an alle, die wir kannten.
Bei jeder neuen Rechnung, die ins Haus kam, runzelte Jed die Stirn. «Da geht nun auch unser Sommerurlaub dahin», sagte er irgendwann. Meine Mutter schlug wegen meiner Verschwendungssucht die Hände über dem Kopf zusammen; das Maximum an Luxus, das wir uns als Familie geleistet hatten, waren Motel 6 und Holiday Inn gewesen. Aber die Carnegie Hall war natürlich ein Anlass, wie man ihn im Leben nicht allzu häufig erlebt, und ich war entschlossen, ein unvergessliches Ereignis daraus zu machen.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Bestimmte Aspekte meines Verhaltens – zum Beispiel meine Neigung zu Prahlerei und Übertreibung – sind durchaus nicht typisch für chinesische Mütter. Diese fragwürdigen Eigenschaften habe ich neben meiner lauten Stimme und meiner Liebe zu Großveranstaltungen und der Farbe Rot von meinem Vater geerbt. Schon in meiner Kindheit schüttelte meine Mutter, die sehr zurückhaltend und bescheiden ist, immer wieder den Kopf über mich und sagte: «Das ist genetisch. Amy ist ein Klon des Exzentrikers.» Letzteres bezog sich auf meinen Vater, den ich, das ist wahr, immer vergöttert habe.
Zu meinen Vereinbarungen mit dem St. Regis gehörte der Zugang zu einem Klavier, und vor dem Konzert übten Sophia und ich, mit Unterbrechungen, den ganzen Tag. Jed fürchtete, ich ginge zu weit und ermüdete Sophias Finger; Wei-Yi hatte gesagt, Sophia kenne ihre Stücke in- und auswendig, und wichtiger als alles andere seien jetzt Ruhe und Konzentration. Aber ich musste sichergehen, dass Sophias Vortrag wirklich makellos war, dass sie nicht eine einzige derwinzigen, brillanten Nuancen ausließ, die Wei-Yi uns beigebracht hatte («Spannung – Spannung – lass die Leute zappeln!»). Entgegen allen Ratschlägen übten wir in der Nacht vor dem Konzert bis fast ein Uhr morgens. Das Letzte, was ich zu ihr sagte, war: «Du wirst großartig sein. Wenn man dermaßen hart gearbeitet hat wie du, dann weiß man, dass man alles getan hat, was geht, und was danach wird, ist nicht wichtig.»
Als es am nächsten Tag so weit war – ich konnte kaum atmen, klammerte mich in einer Art Totenstarre an meine Armlehnen –, spielte Sophia herausragend, jubilierend. Ich kannte jeden Ton, jede Pause, jede geistreiche Nuance auswendig. Ich wusste, wo die möglichen Fallstricke waren; Sophia überwand sie alle mühelos. Ich kannte ihre liebsten Passagen, ihre virtuosesten Übergänge. Ich wusste, wo sie – Gott sei Dank – nicht beschleunigte, und ich spürte exakt, wann sie innerlich aufatmete, weil sie wusste, dass nichts mehr passieren konnte, dass sie auf einen glorreichen Triumph zusteuerte.
Danach, als alle auf sie zustürzten, um ihr zu gratulieren und sie zu umarmen, hielt ich mich zurück. Den klischeehaften Augenblick, «in dem Sophias Blick in der Menge nach mir suchte», brauchte ich nicht. Ich beobachtete einfach mein reizendes kleines, erwachsenes Mädchen aus der Ferne, das mit Freunden lachte und Blumensträuße einsammelte.
In Augenblicken der Verzweiflung hole ich bewusst die Erinnerung an diesen Abend hervor. Meine Eltern und Schwestern waren da, ebenso Jeds Vater Sy und seine Frau Harriet und viele Freunde und Kollegen. Wei-Yi war eigens aus New Haven gekommen und sichtlich stolz auf seine junge Schülerin. Sophia sagt, es war einer der glücklichsten Tage ihres Lebens. Ich hatte nicht nur ihre gesamte Klasse eingeladen,sondern einen Kleinbus gemietet, der sämtliche Mitschüler von New Haven nach New York und wieder zurück brachte. Darunter war auch ein Junge, von dem ich wusste, dass Sophia ihn mochte; ich hatte vorher seine Mutter angerufen, um sicherzugehen, dass er dabei sein würde. Niemand applaudiert lauter als eine ausgelassene – in New York ausgelassene! – Bande Achtklässler – und wahrscheinlich isst auch niemand so viele Shrimps-Cocktails (die das Hotel stückweise berechnete).
Hier, wie angekündigt, der Schluss von Sophias Aufsatz über «Die Eroberung der Julia»:
Ich bekam nicht so richtig mit, was passierte, bis ich auf einmal zitternd und gelähmt vor Angst hinter der Bühne stand. Meine Hände waren kalt. Ich wusste nicht mehr, wie das Stück anfing. Ein alter Spiegel zeigte mir den krassen Gegensatz zwischen meinem kalkweißen Gesicht und meinem dunklen Kleid, und ich fragte mich, wie viele Musiker schon in dieses Glas gestarrt hatten.
Carnegie Hall. Es schien mir nicht richtig. Das sollte
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