Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs
doch das unerreichbare Ziel sein, der Köder vergeblicher Pianistenhoffnung, der mich mein Leben lang bei der Stange hält. Aber für mich war es jetzt schon so weit – hier stand ich, eine Achtklässlerin, und war im Begriff, einem gespannten Publikum «Julia als junges Mädchen» vorzuspielen.
Ich hatte es mir sehr hart erarbeitet. Romeo und Julia waren nicht die einzigen Charaktere, die ich verinnerlicht hatte. Das liebliche, wiederkehrende Gemurmel, das Julia begleitet, ist ihre Amme; die polternden Akkorde sind Romeos spottlustige Freunde. In diesem Stück steckte auf die eine oder andere Weise auch so viel von mir. In dem Moment wurde mir klar, wie sehr ich diese Musik liebte.
Öffentlich spielen ist nicht einfach – eigentlich ist es ganz entsetzlich. Du brauchst Monate, vielleicht Jahre, bis du ein Stück beherrschst; du wirst wirklich Teil der Musik; und die Musik wird auch Teil von dir. Vor einem Publikum spielen ist wie Blut spenden; danach fühlst du dich leer und ein bisschen schwindelig. Und wenn alles vorbei ist, gehört einem das Stück nicht mehr.
Es war Zeit. Ich ging hinaus zum Flügel und verbeugte mich. Nur die Bühne war beleuchtet, ich konnte die Gesichter des Publikums nicht sehen. Ich verabschiedete mich von Romeo und Julia und entließ sie in die Dunkelheit.
Sophias Erfolg erfüllte mich mit Energie – und er weckte auch gleich wieder neue Träume. Es ließ sich nicht leugnen, dass die Weill Recital Hall, in der Sophia auftrat, mit ihren klassizistischen Bögen und symmetrischen Proportionen zwar recht charmant ist, aber doch ein ziemlich kleiner Konzertsaal auf der dritten Etage der Carnegie Hall. Der viel größere, prächtige Saal, den ich aus dem Fernsehen kannte, in dem die besten Musiker der Welt vor knapp dreitausendköpfigem Publikum auftreten, ist das Isaac-Stern-Auditorium, wie ich erfuhr. Und insgeheim sagte ich mir, wir sollten versuchen, es eines Tages auch dorthin zu schaffen.
Ein paar Schatten lagen über dem Tag. Florence fehlte spürbar; sie hatte eine Lücke hinterlassen, die nicht zu schließen war. Auch dass Sophias ehemalige Klavierlehrerin Michelle nicht gekommen war, schmerzte ein wenig; sie hatte uns den Wechsel zu Wei-Yi übelgenommen, und blieb trotzunserer Versuche, eine Beziehung aufrechtzuerhalten, unversöhnt. Das Schlimmste aber war, dass Lulu am Tag des Konzerts eine Lebensmittelvergiftung bekam. Nachdem sie den ganzen Vormittag mit Kiwon ihre Stücke für das Vorspiel geübt hatte, holten sich die beiden ein Mittagessen aus einem Feinkostladen. Zwanzig Minuten später wurde Lulu schlecht, und sie krümmte sich vor Magenschmerzen. Sie hielt noch durch, bis Sophias Auftritt vorbei war, dann taumelte sie aus dem Saal, Kiwon brachte sie mit dem Taxi zurück ins Hotel. Sie versäumte den gesamten Empfang, und während der Party hasteten Jed und ich abwechselnd immer wieder hinauf in unser Zimmer, wo Lulu in der Obhut meiner Mutter im Bett lag und sich die ganze Nacht übergab.
Am nächsten Morgen brachten wir Lulu, wankend und weiß wie ein Gespenst, zur Juilliard School. Sie trug ein gelb-weißes Kleid und eine mächtige Schleife im Haar, unter der ihr Gesicht nur noch abgehärmter aussah. Ich überlegte, das Vorspielen abzusagen; aber wir hatten so viele Stunden in die Vorbereitung investiert, dass es jetzt auch Lulu hinter sich bringen wollte. Im Wartebereich wimmelte es von asiatischen Eltern, die mit grimmiger, wild entschlossener Miene auf und ab tigerten. Sie wirken so grob, dachte ich, wie können sie die Musik lieben? Dann kam mir zu Bewusstsein, dass fast alle Anwesenden Ausländer oder Immigranten waren, denen die Musik eine Eintrittskarte war, und ich dachte: Ich bin nicht wie sie. Ich habe nicht das, was es braucht.
Als Lulu aufgerufen wurde und tapfer allein den Raum betrat, in dem die Jury saß, brach es mir fast das Herz – in dem Moment war ich nahe daran, alles hinzuwerfen. Aber stattdessen drückten Jed und ich die Ohren an die Tür und lauschten, während Lulu drinnen Mozarts ViolinkonzertNr. 3 spielte und die Berceuse von Gabriel Fauré, so ergreifend wie ich sie nur je hatte spielen hören. Danach erzählte uns Lulu, dass Itzhak Perlman und die berühmte Geigenlehrerin Naoko Tanaka unter den Juroren gewesen waren.
Einen Monat später kam mit der Post die schlechte Nachricht. Jed und ich wussten auf den ersten Blick, was der dünne Umschlag enthielt; Lulu war noch in der Schule. Jed las den zweizeiligen Formbrief, mit dem uns
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