Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs
sie sich den ganzen Juni in Budapestaufhielten, weil mein Vater in die ungarische Akademie der Wissenschaften aufgenommen wurde. Auch wollte ich natürlich Krisztina keine Schande machen. Aber vor allem um Lulus willen musste ihr Auftritt exzellent werden. Genau das braucht sie jetzt, dachte ich; wenn sie es gut macht, wird sie aus der Erfahrung ungemein viel Selbstvertrauen und Stolz ziehen. Allerdings musste ich erst einigen Widerstand bei ihr überwinden: Ich hatte ihr versprochen, dass sie nach dem Vorspiel auf jeden Fall eine Auszeit bekäme, und dieses Versprechen konnte ich jetzt nicht halten. Ich stählte mich für den Kampf, und wenn es unerträglich wurde, holte ich mir Kiwon und Lexie als Helferinnen.
Eine Frage, die mir häufig gestellt wird, lautet: «Darf ich dich mal was fragen, Amy: Für wen machst du das alles, diesen ganzen Druck – für deine Töchter, oder» – und nun unweigerlich mit schiefgelegtem Kopf und in wissendem Ton – « für dich ?» Ich halte das für eine sehr westliche Frage. Was nicht heißt, dass sie nicht berechtigt wäre.
Ich kann guten Gewissens sagen, dass alles, was ich tue, unzweifelhaft und hundertprozentig für meine Töchter ist. Natürlich könnte es sein, dass ich mich irre und mir etwas vormache. Aber mein überzeugendster Beweis für die Wahrheit meiner Aussage ist, dass ein sehr großer Teil der Arbeit, die ich in Sophia und Lulu stecke, einfach schrecklich und zermürbend ist und mir nicht den geringsten Spaß macht. Es ist unheimlich schwer, die eigenen Kinder gegen ihren Willen zur Arbeit zu zwingen, endlose, mörderische Stunden, in denen einem die eigene Jugend zwischen den Händen zerrinnt, zu investieren, um den Kindern klarzumachen, dass sie etwas schaffen können, das sie sich nicht zutrauen (und vielleicht zweifelt man auch selbst gelegentlich daran). «Wisst ihr, wie viele Lebensjahre ihr mich schon gekostethabt?», frage ich meine Mädchen oft. «Bloß gut, dass ich mit einem äußerst langen Leben gesegnet bin, wie meine dicken Glücksohrläppchen bezeugen.»
Ehrlich gesagt, denke ich manchmal, dass man die Frage «Für wen tust du das eigentlich?» auch westlichen Eltern stellen sollte. Manchmal wache ich frühmorgens auf, blicke beklommen auf den vor mir liegenden Tag und stelle mir vor, wie leicht es wäre, könnte ich Lulu antworten: «Klar können wir heute mal nicht Geige üben.» Im Unterschied zu meinen westlichen Freunden kann ich nie sagen: «Auch wenn es mich umbringt – ich muss zulassen, dass meine Kinder selbst entscheiden, was richtig für sie ist, und ihrem Herzen folgen. Es ist unheimlich schwer, aber ich tue wirklich mein Bestes, mich zurückzuhalten.» Dann holen sie sich ein Glas Wein und schließen sich einem Lesekreis an, während ich zu Hause bleiben und schreien und mich von meinen Kindern hassen lassen muss.
Ein paar Tage vor unserer Reise nach Budapest mailte ich Krisztina und fragte, ob sie vielleicht einen erfahrenen Geigenlehrer an der Liszt-Akademie wisse, der mit den Mädchen die Rumänischen Tänze durchgehen könnte, sozusagen als Generalprobe, vielleicht auch, um ihnen noch ein paar praktische Tipps für die richtige Interpretation eines ungarischen Komponisten zu geben. Krisztina hatte eine gute Nachricht für mich: Eine ihrer Kolleginnen an der Liszt-Akademie, die ich Frau Kazinczy nennen will, hatte sich freundlicherweise bereit erklärt, die Mädchen zu empfangen. Frau Kazinczy, schrieb Krisztina, unterrichte nur die begabtesten Geiger; einer ihrer Schüler habe kürzlich einen internationalen Violinwettbewerb gewonnen. Sie habe allerdings nur einen einzigen Termin frei – am Tag unserer Ankunft, einen Tag vor dem Konzert. Ich sagte sofort zu.
Vormittags gegen zehn Uhr Ortszeit, wenn es in New Haven erst vier Uhr morgens ist, trafen wir in unserem Hotel in Budapest ein. Wir waren übernächtigt und völlig groggy. Jed und Lulu hatten Kopfweh. Die Mädchen wollten nur ins Bett, und ich fühlte mich selber nicht so besonders, aber leider war es Zeit für die Stunde bei Frau Kazinczy; wir hatten bereits zwei Nachrichten erhalten, eine von meinen Eltern und eine von Krisztina, die uns den Treffpunkt mitteilten. Zu viert taumelten wir in ein Taxi, und ein paar Minuten später waren wir vor der Neuen Musikakademie, einem ebenso prächtigen wie mächtigen Jugendstilbau mit majestätischen Säulen am Franz-Liszt-Platz.
Frau Kazinczy empfing uns in einem saalartigen Raum in einer der oberen Etagen. Meine Eltern und
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