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Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs

Titel: Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs Kostenlos Bücher Online Lesen
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«Wunderkind aus Amerika» aufträte, nämlich Sophia.
    Es war eine atemberaubende Einladung. Budapest ist ja eine berühmte Musikstadt, aus der nicht nur Franz Liszt, sondern auch Béla Bartók und Zoltán Kodály stammen. Die überwältigende Staatsoper, heißt es, stehe in akustischer Hinsicht allenfalls der Mailänder Scala und dem Palais Garnier in Paris nach. Der Veranstaltungsort, den Krisztina für das Konzert im Auge hatte, war die Alte Musikakademie, ein elegantes dreistöckiges Neurenaissance-Gebäude, in dem Franz Liszt, der Gründer und einstige Präsident der Akademie, ein paar Jahre wohnte. Die Alte Akademie (die 1907 durch die ein paar Straßen entfernte Neue Musikakademie ersetzt wurde) ist heute ein Museum, in dem Liszts originalen Musikinstrumente, Möbel, handgeschriebenen Notenblätter ausgestellt werden. Sophia werde auf einem von Liszts Flügeln spielen, sagte Krisztina. Und das Publikum werde eingroßes sein – außerdem, nicht zu vergessen, Sophias erstes zahlendes Publikum.
    Aber ich hatte ein Problem. Wie würde sich Lulu fühlen, wenn so bald nach dem Wirbel in der Carnegie Hall ein weiteres Großereignis mit Sophia im Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit stattfand? Lulu hatte sich über Miss Tanakas Angebot gefreut und sofort zugesagt, was mich eigentlich überraschte. Aber das reichte nur, um die Juilliard-Enttäuschung ein wenig zu mildern. Zu allem Überfluss hatte ich nicht daran gedacht, das Vorspielen geheimzuhalten, so dass sich die arme Lulu jetzt monatelang von allen möglichen Leuten fragen lassen musste: «Und, hast du schon das Ergebnis? Ich bin sicher , sie nehmen dich.»
    Die Achillesferse des chinesischen Erziehungsstils ist sein Umgang mit dem Scheitern: Diese Möglichkeit ist einfach nicht vorgesehen. Das chinesische Modell ist ausschließlich auf Erfolg ausgerichtet. So entsteht der Circulus virtuosus aus Selbstvertrauen, Fleiß und Bestätigung durch noch mehr Erfolg. Ich musste dafür sorgen, dass Lulu genau diesen Erfolg erzielte – und zwar auf derselben Ebene wie Sophia –, bevor es zu spät war.
    Ich dachte mir einen Plan aus und verpflichtete meine Mutter als Vermittlerin. Ich bat sie, ihre alte Freundin Krisztina anzurufen und ihr alles von Lulu und der Geige zu erzählen: dass sie vor Jessye Norman und dann vor der renommierten Geigenlehrerin Mrs. Vamos gespielt hatte, die beide Lulu für außerordentlich begabt hielten, und dass Lulu schließlich soeben von einer weltberühmten Dozentin an der weltberühmten Juilliard School als Privatschülerin aufgenommen worden sei. Meine Mutter sollte ausloten, ob es möglich wäre, Lulu zusammen mit Sophia als Duo in Budapest auftreten zu lassen, und sei es nur für ein einzigesStück. Vielleicht, sollte meine Mutter vorschlagen, könnten das Bartóks Rumänische Volkstänze für Violine und Klavier sein, die sie jüngst zusammen aufgeführt hätten – und davon wäre Krisztina bestimmt angetan, das wusste ich. Bartók ist, neben Liszt, der berühmteste ungarische Komponist, und seine Volkstänze sind sensationelle Publikumserfolge.
    Es klappte. Krisztina, die Lulu kennengelernt hatte und ihren hitzigen Charakter schätzte, fand die Idee, Sophia ein Stück zusammen mit ihrer kleinen Schwester vortragen zu lassen, ausgezeichnet und hielt die Rumänischen Tänze für eine ideale Programmergänzung. Sie werde alles organisieren, versprach sie meiner Mutter, und auch die Programmankündigung entsprechend auf «Zwei Wunderschwestern aus Amerika» abändern.
    Das Konzert war für den 23. Juni vorgesehen, und bis dahin war es nur noch ein Monat. Wieder setzte ich alle Hebel in Bewegung. Eine schwindelerregende Menge Arbeit wartete auf uns. Dass die Mädchen die Rumänischen Tänze jüngst miteinander aufgeführt hätten, war leider eine Übertreibung gewesen; «jüngst» hieß: vor anderthalb Jahren. Um die Tänze wieder zu lernen und aufzupolieren, mussten die Mädchen und ich wirklich rund um die Uhr arbeiten. Gleichzeitig übte Sophia hektisch vier andere Stücke, die Professor Yang für sie ausgewählt hatte: Brahms’ Rhapsodie in g-Moll, ein Stück einer chinesischen Komponistin, Prokofjews Romeo und Julia und natürlich eine von Liszts berühmten Ungarischen Rhapsodien.
    Obwohl Sophia mit diesem schwierigen Programm beschäftigt war, galt meine Hauptsorge Lulu. Von ganzem Herzen wünschte ich ihr, dass ihr eine Glanzleistung gelänge. Meine Eltern wären auch im Konzert, das stand schon fest: Der Zufall wollte es, dass

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