Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs
eine strahlende Krisztina waren bereits da und saßen auf den Stühlen entlang einer Wand. Mitten im Raum stand ein alter Flügel, und Krisztina forderte Sophia auf, daran Platz zu nehmen.
Frau Kazinczy war, gelinde ausgedrückt, hochgradig nervös. Sie vermittelte den Eindruck, als hätte ihr Mann sie vor kurzem wegen einer Jüngeren verlassen, nicht ohne zuvor das gemeinsame Vermögen auf ein Konto im Ausland zu transferieren. Sie vertrat die alte russische Schule des Musikunterrichts: streng, ungeduldig, fordernd und unduldsam gegen alles, was in ihren Augen falsch war. «Nein!», schrie sie, bevor Lulu einen einzigen Ton gespielt hatte. «Was ist das denn – wieso hältst du so den Bogen?», fragte sie ungläubig. Als die Mädchen zu spielen anfingen, unterbrach sie Lulu nach jeder zweiten Note, während sie wild gestikulierend auf und ab marschierte. Den Fingersatz, den Lulu eingeübt hatte, fand sie ungeheuerlich und befahl ihr, ihn zu korrigieren – einen Tag vor dem Konzert! Zwischendurch wandte sie sich immer wieder zum Klavier und schnauzteSophia an, aber ihr Hauptaugenmerk blieb auf Lulu gerichtet.
Mir wurde zunehmend beklommen zumute. Ich sah Lulu an, dass sie Frau Kazinczys Anweisungen absurd fand und ihren Tadel ungerecht, und allmählich in Wut geriet. Und je zorniger Lulu wurde, desto steifer spielte sie und desto weniger konnte sie sich konzentrieren. Ihre Phrasierung wurde schlechter, dann ging es auch mit der Sauberkeit der Töne bergab. O nein, dachte ich, gleich ist es so weit. Und natürlich kam der Augenblick, in dem ein trotziger Ausdruck in Lulus Gesicht trat, und von da an gab sie sich überhaupt keine Mühe mehr, ja sie hörte nicht mal mehr zu. Frau Kazinczy hatte sich unterdessen in Hysterie hineingesteigert. An ihren Schläfen traten die Adern hervor, und sie schrie immer schriller. Dazwischen wandte sie sich auf Ungarisch an Krisztina und kam Lulu beunruhigend nahe, redete dicht vor ihrem Gesicht, stach sie mit dem Zeigefinger in die Schulter, und in einem Moment der Erbitterung schlug sie Lulu sogar mit einem Bleistift auf die Finger der linken Hand.
Ich sah, wie in Lulu der Zorn aufwallte. Zu Hause wäre sie spätestens in diesem Moment ausgerastet. Hier spielte sie weiter, sichtlich um Beherrschung ringend. Aber Frau Kazinczy schwang abermals ihren Bleistift, und zwei Minuten später ließ Lulu mitten in einer Passage den Bogen sinken und sagte, sie müsse auf die Toilette. Ich stand rasch auf und ging mit ihr vor die Tür, wo sie losrannte. Hinter der nächsten Ecke brach sie in Tränen der Wut aus.
«Ich geh da nicht mehr hinein», stieß sie wild hervor. «Ich lass mich nicht von dir zwingen. Das ist eine Irre – ich hasse sie. Ich hasse sie!»
Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Frau Kazinczy warKrisztinas Kollegin. Meine Eltern saßen mit im Raum. Wir hatten noch dreißig Minuten Unterricht vor uns, und alle warteten, dass Lulu zurückkäme.
Ich versuchte mit ihr zu argumentieren. Ich erinnerte sie daran, dass Frau Kazinczy ihr unglaubliches Talent gelobt habe, und genau das sei doch der Grund, weshalb sie so fordernd sei. («Ist mir doch egal!») Frau Kazinczy könne sich offenbar nicht gut verständlich machen, räumte ich ein, aber ich sei überzeugt, dass sie es gut meine, und flehte Lulu an, ihr noch eine Chance zu geben. («Nein!») Als alle Versuche nichts fruchteten, kam ich ihr mit moralischem Druck: Wir stünden in Krisztinas Schuld, die sich überschlagen habe, um diese Stunde zu ermöglichen, auch meine Eltern wären entsetzt, wenn sie nicht zurückkäme. «Es geht nicht nur um dich, Lulu. Es hilft alles nichts, du musst da jetzt durch. Wir halten alle mehr aus, als wir glauben – du kannst das aushalten.»
Sie weigerte sich. Ich war gedemütigt. So sehr Frau Kazinczy im Unrecht sein mochte, war sie immer noch eine Lehrerin, eine Autoritätsperson, und eine der ersten Lektionen, die wir Chinesen lernen, ist der Respekt vor Autorität. Unter gar keinen Umständen widerspricht man den Eltern, Lehrern und überhaupt den Älteren. Es lief darauf hinaus, dass ich allein zurückging, mich wortreich entschuldigte und (fälschlich) erklärte, Lulu sei böse auf mich . Dann ließ ich Sophia, die von Frau Kazinczy auch nicht gerade begeistert war und als Pianistin ja auch gar nicht in deren Zuständigkeit fiel, den Rest der Stunde nehmen: angeblich um sich Tipps für das Spielen im Duo geben zu lassen.
Zurück im Hotel, stauchte ich Lulu zusammen, und danach
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