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Die Mutter

Die Mutter

Titel: Die Mutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brett Mcbean
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hatte George nicht vergessen, wo sich sein altes Zimmer befand, und er blieb stehen, als er die Tür erreicht hatte.
    »Ich weiß nicht, wieso ich wieder hierher kommen wollte. Ich weiß nicht, was ich zu finden erwartet habe. Es sind nur vier Wände und ein Dach, wenn man es genau nimmt.«
    Er ergriff den Türknauf, musste jedoch kurz innehalten, bis die plötzlich aufsteigende Übelkeit sich wieder gelegt hatte. Für einen Moment wurde der Geschmack des Staubs durch den Geschmack von Galle ersetzt, aber schon bald legte sich der Staub wieder auf seine Zunge und in seinen Rachen, und er stieß die Tür auf.
    In dem Zimmer lag ein düsterer Dunst. Das schmutziggelbe Licht, das von den alten Spitzenvorhängen gefiltert wurde, war das einzige, das den Raum erhellte. Es roch stark nach Feuchtigkeit - und nach toten Dingen.
    »Igitt«, stöhnte Martha und wandte sich ab.
    George trat in den Raum und ging zum Fenster hinüber. Der Stoff der Vorhänge war kalt, und als er sie zur Seite schob, wirbelte Staub auf. Sonnenstrahlen strömte herein und tauchten das Zimmer in fleckig-grelles Licht. Als George sich wieder umdrehte, fand er sich um mehr als vierzig Jahre zurückversetzt.
    Das Zimmer sah nicht mehr aus wie während seiner Kindheit - auf der Wand gegenüber dem Fenster stand kein Bett mehr. Es gab keine Kommode mit seinen Socken, seiner Unterwäsche, seinen Comicheften und Footballkarten - aber an den Wänden hing noch dieselbe blaue Tapete (jetzt jedoch viel ausgebleichter), und auch der Einbauschrank links neben der Tür war noch intakt. Dies war, so lange er sich zurückerinnern konnte, sein Kinderzimmer gewesen. Es war sein und Daveys Zimmer, bevor Davey starb. Phil hatte das Zimmer direkt neben der Küche gehabt - er war immer am liebsten allein gewesen.
    Viele unvergessliche Erlebnisse hatten in diesem Raum stattgefunden: seine erste sexuelle Erfahrung, das erste Mal, als er sich eine von Mums Zeitschriften angeschaut hatte, und das erste Mal, dass er In the Mood gehört hatte.
    Er erinnerte sich außerdem daran, wie er mit fünfzehn auf
    dem Bett gelegen und in der Zeitung gelesen hatte, dass der Krieg vorbei war.
    Es gab noch eine weitere Erinnerung, die jedoch weniger fröhlich war. Einen Tag, den er für immer mit diesem Zimmer in Verbindung bringen würde: als er Davey draußen liegen sah reglos wie ein Fels ...
    »Das ist also dein Zimmer«, sagte Martha und riss George erneut aus seinen Gedanken. Auch sie stand nun im Zimmer, aber sie verzog noch immer das Gesicht, denn der Geruch war ganz offensichtlich zu viel für sie.
    Krista stand im Flur und sah traurig aus, und das machte George wütend. Worüber musste sie denn traurig sein?
    Dann fragte er sich: Erinnert sie dieses Zimmer an das ihrer Töchter?
    Wenn sie überhaupt eine Tochter hatte. An einem Melanom gestorben; das hatte sie Martha erzählt. Ich glaube ihr nicht. Sie hat in ihrem Leben viel Kummer erlitten, da bin ich sicher, aber nicht diese Art.
    »Ja, das ist es«, sagte George. »Sieht nach nichts Besonderem aus ... Hat es auch nicht, als ich noch hier gewohnt habe, aber es war mein Zimmer.« Er schaute zur Decke hinauf. »Jetzt wohnen hier die Spinnen.« Wenn die Küche eine ländliche Arachnoiden-KIeinstadt war, dann war sein Zimmer eine wahre Metropole. Durch die unzähligen Spinnweben konnte er fast kein einziges Fleckchen der Decke sehen. In den Ecken waren sie am dichtesten. Sie zogen sich fast über die gesamte Decke, überall hingen Spinnennetze herunter wie dünne Baumwollfäden.
    George bildete sich ein, zwischen all den Spinnweben ein paar dicke schwarze Spinnen erkennen zu können, aber das konnten ebenso gut auch Schatten oder Klumpen aus toten Fliegen sein. »Wie lange ist die Farm denn schon leer?«, fragte Krista. »Fast zehn Jahre«, antwortete George. »Kein Freund unserer achtbeinigen Freunde?« »Nun... nein.«
    George hatte sich nie vor Spinnen gefürchtet, aber als er nun in dem kahlen Raum stand, mit einer ganzen Armee von Spinnen,
    die über ihm in den dichten Spinnweben lauerte, verstand er besser, welche Gefühle sie vielleicht bei anderen auslösten.
    »Ich will mir gar nicht vorstellen, was sich da drin vielleicht versteckt«, sagte Martha und nickte in Richtung des geschlossenen Kleiderschranks.
    Marthas harmlose Bemerkung setzte irgendetwas in Georges Erinnerung frei. Er erinnerte sich dunkel daran, wie er mit sieben oder acht Jahren etwas ganz hinten im Kleiderschrank versteckt hatte. Es war damals unheimlich

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