Die Mutter
Tödliches, wenn auch vermutlich nichts Erkennbares.
Und was immer das auch war, weder er noch Martha konnten ihr helfen.
Und dann drehte er sich um und lächelte das ehrlichste Lächeln seit langer Zeit.
»Steck das Foto wieder zurück, Martha. Wir können jetzt gehen.«
BARBARA, DIE BRITISCHE BACKPACKERIN
Sie rannte.
Schmerzende Beine, schmerzender Schädel, schmerzende Augen, schmerzender Hals, furchtbar schmerzende Schulter.
Sie konnte das Seil um ihren Hals spüren; eng, aber nicht so eng, dass es sie würgte, wobei das Ende bei jedem Schritt gegen ihren linken Oberschenkel schlug. Sie rannte. Nur weg hier.
Sie war von Wald umgeben, in welcher Richtung lag ihre Rettung, ihre Sicherheit?
Barbara wusste es nicht. Sie wusste nicht, wo sie sich befand. Nur die Götter allein - und der Mann - wussten es.
Sie war nach Australien gekommen, weil sie einen Sommer im Paradies erleben wollte, und sie hatte von mehreren Leuten gehört, dass das Trampen hier sicher sei: eine tolle Art, die Einheimischen kennenzulernen und etwas über das Land zu erfahren. Das war es auch gewesen - bis zu dem Mann. Dies war erst ihre zweite Woche in Australien, und schon rannte sie auf der Flucht vor einem Wahnsinnigen um ihr Leben. Er hatte ganz freundlich ausgesehen und schien auch nett zu sein. Er hatte ihr angeboten, sie nach Melbourne mitzunehmen, aber dann hatte er sich als Ungeheuer herausgestellt, als wahrer Teufel; da waren sie erst zwei Stunden hinter Sydney gewesen.
Er hatte an einem Rastplatz angehalten und behauptet, er wolle nach ein paar Kassetten suchen, die sie im Auto hören konnten. Stattdessen hatte er einen Hammer mitgebracht, und bevor sie überhaupt begriff, was sie sah und was es bedeutete, schlug er ihr den Hammer auf den Kopf.
Sie hatte immer wieder das Bewusstsein verloren. Sie war zu schwach, um sich irgendwie gegen ihn zu wehren, und als sie spürte, dass der Wagen langsamer wurde und sie auf eine ruhigere Straße abbogen, kribbelte die Angst in ihrem ganzen Körper. Sie wusste, dass sie abhauen musste, irgendwie, und schnell.
Als das Auto schließlich anhielt und der Mann mit dem kurzen welligen Haar, den schmalen Lippen, den tief liegenden Augen
und der braungebrannten Haut sie aus seinem Lieferwagen zerrte, nutzte sie ihre Chance. Noch immer benebelt und mit qualvoll dröhnendem Schädel, taumelte sie vom Wagen weg und die schmale Schotterstraße hinunter, auf der der Mann geparkt hatte. Sie war sich nicht sicher, wie weit sie sich vom Highway entfernt hatten. Aber sie waren rundum von Wald umgeben, und das Einzige, was sie hörte, waren die Vögel, und daher nahm sie an, dass sie sich relativ weit weg befanden. Trotzdem musste sie es versuchen. Sie durfte nicht zulassen, dass der Mann sie noch mal erwischte.
Bevor sie nach Australien kam, hatte man ihr erzählt, die meisten Männer dort seien durchtrainierte Strandtypen. Auch wenn sie schnell bemerkte, dass die nicht ganz so häufig anzutreffen waren, wie sie gehofft hatte, entsprach es in diesem Fall einer unglückseligen Tatsache. Dieser Mann war schnell und stark.
Als er sie eingeholt hatte, warf er sie zu Boden und schlug sie bewusstlos. Sie kam auf einem ungemütlichen Bett aus Steinen, Zweigen und trockenen Blättern wieder zu sich, nackt. Um ihren Hals lag ein Seil, und der Mann war gerade damit beschäftigt, ihre Füße zu fesseln. Der Himmel - soweit sie es durch die Baumkronen erkennen konnte - war ein wunderschöner Schleier aus dunklem Orange und Violett.
In ihrem Kopf drehte sich alles. Ihr gesamter Körper wurde von Schmerzen geplagt. Sie wusste, dass sie nicht zulassen durfte, dass er das Seil zuknotete. Falls ihm das gelang, würde es unmöglich für sie werden, sich zu befreien.
Dann ging alles sehr schnell - auch jetzt konnte sie sich nicht daran erinnern, wie sie es eigentlich geschafft hatte - aber sie kämpfte und wehrte sich und befreite sich so irgendwie aus seinem Griff. Ihr Schlag musste ihm die Luft genommen haben, denn als sie aufstand, verfolgte er sie nicht sofort. Erst zehn, vielleicht fünfzehn Sekunden später erschreckte sie der Knall eines Schusses, und ein brennender Schmerz fuhr ihr in die rechte Schulter.
Er warf sie auf die Knie, aber durch schiere Willenskraft gelang es ihr, sich wieder aufzurappeln und weiterzurennen. Nicht sicher, wohin sie eigentlich lief, hoffte sie, sie bewege sich in
Richtung Highway, auch wenn sie fürchtete, dass sie nur noch tiefer in den Wald lief.
Und sie rannte.
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