Die Mutter
Melbourne. Wer zur Hölle wäscht seine Klamotten zu dieser Tageszeit? Und wie ist sie überhaupt hierher gekommen? Zu Fuß? Scheint mir ziemlich riskant zu sein, nachts mit einem schweren Wäschesack durch eine leere Stadt zu spazieren.
Chris nahm das Waschpulver aus seiner Tasche, füllte etwas ins Waschmittelfach, machte es zu, wählte »volle Maschine« und »kalt«, warf die abgezählten Münzen ein, drückte auf den Startknopf und seufzte erleichtert, als die Maschine anging. Schon bald würden die Klamotten voller Seifenwasser und das Blut für immer verschwunden sein.
Hoffte er.
Jetzt konnte er nichts weiter tun, nur warten. Da er in aller Hektik zum Waschsalon gefahren war, hatte er vergessen, eine Zeitschrift oder ein Buch mitzunehmen. Er wusste, dass er eigentlich Smalltalk mit der Frau machen sollte, aber er hatte keine allzu große Lust, mit einer Fremden zu plaudern - nicht heute Nacht. So würden die zwanzig Minuten, in denen die Frau darauf wartete, dass ihre Wäsche trocknete, wohl ziemlich unangenehm werden. Aber was, wenn sie noch mehr Wäsche zu waschen hatte? Dann würde er sich auf jeden Fall mit ihr unterhalten müssen.
Chris warf einen Blick über die Schulter. Die Frau schien keinen weiteren Wäschesack dabeizuhaben.
Zuversichtlich, dass sie aufbrechen würde, sobald ihr Trockner fertig war, räusperte Chris sich und fragte: »Lange gearbeitet?« Er sprach so laut, dass sie seine Stimme über das Rumpeln des Trockners und der Waschmaschine hören musste.
»Wie bitte?« Ihre Stimme klang weich und hoch: weiblich, aber nicht zu sexy.
»Ganz schön spät fürs Wäschewaschen. Ich habe mich gefragt, ob Sie lange arbeiten mussten. Ich schon, aber ich hab die Wäsche heute Morgen nicht geschafft. Das Wochenende ist noch weit weg und ich hab keine sauberen Arbeitsklamotten mehr.«
Er versuchte, entspannt zu klingen, versagte aber kläglich. Jedem halbwegs intelligenten Menschen musste klar sein, dass er nervös war. Er war sich sicher, dass sie das blutverschmierte Hemd, das ihm auf den Boden gefallen war, nicht gesehen hatte, aber selbst wenn: Was machte das schon? Es hätte ja auch Rotwein oder Tomatensoße sein können.
»Ja, richtig«, erwiderte die Frau.
»Wo arbeiten Sie?«
Es folgte eine lange Pause. »Ich bin Lehrerin.«
»Ach ja? Was unterrichten Sie?«
Es interessierte ihn nicht im Geringsten. Er machte nur Smalltalk, um sich die Zeit zu vertreiben.
»Hauptsächlich Englisch. Privat, nicht an einer Schule.«
»Aha.«
»Sie?«
»Immobilienmakler.«
Stille, abgesehen vom Brummen der Maschinen.
Chris drehte sich wieder zu seiner Waschladung um. Er wünschte sich langsam, er hätte die Klamotten zu Hause gewaschen, obwohl er wusste, dass es besser war, dort keine Blutspuren zu hinterlassen. Die Wäsche hier zu waschen, bedeutete, dass es nahezu unmöglich sein würde, die Blutspuren zuzuordnen, die er vielleicht hinterließ. Bei all dem Blut, Dreck, Erbrochenen und der Scheiße, die in den Maschinen herumgewirbelt wurden, musste er keine Angst haben, dass man sein kleines Geheimnis entdecken würde.
Chris blickte erneut über seine Schulter - und zuckte zusammen. Die Frau stand nur wenige Meter hinter ihm. Er hatte nicht gehört, wie sie näher gekommen war, und jetzt stand sie zu dicht an der Waschmaschine.
»Hab ich Sie erschreckt?«, fragte sie.
»Nein. Doch. Naja, vielleicht ein bisschen.« Sein Herz schlug wie wild in seiner Brust. Er war mit seinen Nerven ziemlich am Ende. Er würde sich nur unnötig in Gefahr bringen, falls er sich nicht beruhigte - was allerdings gar nicht so leicht war, schließlich schleuderte das Blut eines anderen Menschen nur einen halben Meter neben ihm munter in einer Wäschetrommel. »Tut mir leid«, sagte sie und lehnte sich gegen den Tisch. Was willst du denn? Hau ab!
Sie kam ihm nicht bekannt vor, er hatte sie noch nie in der Stadt oder im Waschsalon gesehen. Andererseits ging er auch nie nachts in den Waschsalon, blieb ohnehin lieber für sich und kannte daher nicht viele Einwohner von Wangaratta - oder »Wang«, wie die Einheimischen gerne sagten. Ein Spitzname, den Chris immer gehasst hatte. »Sie, äh, haben da was auf dem Hemd«, sagte die Frau. Chris schaute nach unten und sah einen roten Fleck, gleich neben der Hemdtasche. Er schrie innerlich auf und sein Magen verkrampfte sich; äußerlich schüttelte er nur den Kopf und erwiderte: »Farbe ... Muss Farbe von den Klamotten sein, die ich wasche. Hab ich mir wohl aus Versehen aufs
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