Die Mutter
Hemd geschmiert. War wohl unaufmerksam.« Er musste den Fleck loswerden. Er war ein Beweis. Er zog das Hemd aus, öffnete den Deckel der Waschmaschine, und warf es hinein. Er schloss die Klappe wieder, und als er sich umdrehte, starrte die Frau ihn an. Plötzlich fühlte er sich vollkommen ausgeliefert; er bekam überall auf seinem teigig-weißen Körper Gänsehaut. »Ich hoffe, es stört Sie nicht«, sagte er. »Ich kann den Gedanken nicht ertragen, schmutzige Klamotten anzuhaben.«
»Stört mich nicht. Ich hoffe aber, Sie fangen sich keine Erkältung ein.«
Es war ihm egal, was er sich einfing - solange ihn nur niemand einfing. Sie hatte allerdings nicht unrecht: Im Waschsalon war es ziemlich frisch.
»Vielleicht sollte ich zu Ihnen rüberkommen und mich am Trockner wärmen.«
Die Frau lächelte.
Er hoffte, dass sie seinen Kommentar nicht als halbherzigen Anmachspruch verstand.
»Hier drin kann's ziemlich warm werden, wenn genügend Trockner an sind«, entgegnete sie. »Manchmal, wenn es draußen richtig kalt ist, komme ich mit meiner Tüte voller Münzen hier rein und schaffe mir mein eigenes Heizsystem.«
Chris war klar, dass sie Witze machte. Lehrer verdienten sehr ordentlich, und ganz bestimmt konnte sie sich eine Heizung leisten. Da die Frau jedoch nicht grinste, war Chris sich nicht mehr ganz sicher.
Er rieb sich seine dürren Arme. »Und, kommen Sie oft nachts in den Waschsalon?«
»Andauernd.«
»Ist das nicht gefährlich?«
Die Frau zuckte mit den Schultern. »Ich mag die Ruhe und den Frieden. Diese Läden sind tagsüber einfach zu voll. Sie sind der erste Mensch, den ich je um diese Uhrzeit hier getroffen habe. Normalerweise hab ich den Salon ganz für mich allein.«
»Haben Sie keine Angst?«
»Wovor?«
Chris hatte angenommen, die Antwort läge auf der Hand. »Dass irgend so ein Irrer reinkommt. Eine Frau ganz allein, nachts, an so einem Ort, die ist doch leichte Beute. Besonders in einer Stadt wie dieser. Hier sind nachts kaum Leute unterwegs, anders als in einer Großstadt.«
Heute Nacht ist es einer zu viel.
»Über so was denke ich nicht nach. Meine Philosophie ist: was passiert, passiert. Ich werde mir sicher nicht wegen irgendetwas einen Kopf machen, das vielleicht passieren könnte.«
»Schon richtig, aber Sie können ja bestimmte Vorsichtsmaßnahmen treffen, um gefährliche Situationen zu vermeiden.«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel nicht nachts um halb zwölf Ihre Wäsche zu waschen.«
»Ich schätze, ich mag es, Risiken einzugehen.«
»Gehen Sie auch gerne nachts spazieren?«
Die Frau runzelte die Stirn. »Bitte?« »Draußen steht kein Auto. Ich hab angenommen, dass Sie zu Fuß hergekommen sind.«
»Nun, da haben Sie falsch angenommen. Mein Freund hat mich hier abgesetzt. Und demnächst holt er mich auch wieder ab.«
Er nahm einen Anflug von Beunruhigung in ihrer Stimme wahr. Sagte sie die Wahrheit oder war sie nur vorsichtig? Vielleicht war sie doch nicht so furchtlos. Vielleicht wurde ihr ihre Lage allmählich klar: allein, nachts, mit einem halbnackten Fremden. Nicht gerade die bestmögliche Situation für sie.
Chris wollte ihr versichern, dass er sich nur unterhalten und sonst wirklich nichts von ihr wollte. Alles, was er wollte, war, seine Klamotten von dem Blut zu befreien, das ihn vollgespritzt hatte, als die Sache mit diesem Mädchen so völlig aus dem Ruder gelaufen war, und dann von diesem deprimierenden Ort zu verschwinden.
»Tut mir leid, ich hab mir nichts dabei gedacht. Ich war nur neugierig«, sagte Chris.
»Schon okay. Ich wollte Sie nicht so anfahren. Es war ein langer Tag und ich bin müde.«
Chris warf einen Blick auf seine Maschine - noch vierzehn Minuten - und sagte: »Schon vergessen.«
»Tja, ich schau mal besser, wie weit meine Wäsche ist.« Die Frau eilte zu ihrem Trockner zurück, öffnete die Klappe und unterbrach so das Gebläse. Sie griff hinein und fing an, Kleidungsstücke herauszuholen. Chris erkannte Jeans, T-Shirts, BHs und Höschen.
Er war sich sicher, dass der Trockner noch nicht fertig war, aber er sagte nichts. Er hoffte, dass sie nicht seinetwegen vorzeitig abbrach. Wenn er ihr zu nahe getreten war und sie wirklich einen Freund hatte, der sie bald abholte, dann müsste er sich um mehr Sorgen machen, als um schmutzige Wäsche - schließlich stand er ohne Hemd da.
Chris beobachtete die Frau, während sie ihren Rucksack auf den Tisch warf und begann, Klamotten einzupacken. Er sah, dass sie sich nicht die Mühe machte, sie
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