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Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Titel: Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seth Grahame-Smith
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Tribünen unheilvolle Warnungen ausstießen über den Zorn Gottes, über den Sturz des Herodes – ja sogar Roms. Sie verkündeten, der Tag des Messias stünde vor der Tür – der Tag, an dem die Kinder Israels aus ihren Fesseln befreit würden. Genau das verkündeten sie schon seit Jahrtausenden.
    »Er wird die Erde mit der Rute seines Mundes geißeln! Mit dem Atem von seinen Lippen wird er die Gottlosen erschlagen! Rechtschaffenheit wird sein Gürtel sein, und Treue die Schärpe um seine Taille!«
    Einer der Propheten, der sich Simeon nannte, schwadronierte vor einer – allem Anschein nach gelangweilten – Gruppe von neun oder zehn Zuhörern, als Maria und Josef versuchten, sich an ihm vorbeizuschieben. Es war die gleiche feurige Predigt, die er nun schon seit Wochen kläffte:
    »Herodes lässt diejenigen hinrichten, die es wagen, etwas gegen ihn zu sagen! Er herrscht mithilfe von Brutalität, und er bleibt an der Macht, weil wir Angst vor ihm haben! Nun, ich sage aber, er hat Grund zur Angst! Denn es steht geschrieben, dass die Ankunft des Messias bevorsteht! Ein König der Juden, der nicht nur die Herrscher von Judäa und Galiläa umstürzen wird, sondern auch die Herrscher der ganzen Welt! Und wenn unser Retter kommt, wird es … wird es …«
    Simeons Blick war an einer jungen Frau auf der anderen Seite der überfüllten Straße haften geblieben, die mit einem Kind auf den Armen weitergeführt wurde. Er stieg von seiner Tribüne, ohne recht zu wissen, warum er es tat, und bahnte sich einen Weg durch die Menge.
    Josef drehte sich rechtzeitig um und sah, wie dieser seltsame Mann mit dem wilden Blick Marias Hand packte.
    »Du!«, schrie Josef. »Lass sie los!«
    Doch Simeon der Prophet rührte sich nicht. Er starrte lediglich Maria an, als hätte er eine lange verlorene Freundin wiedergefunden … sein Gesicht eine Mischung aus Verehrung und Entsetzen.
    »Ein Schwert«, sagte er. »Ein Schwert wird dir durch die Seele dringen …«
    Die Worte, die aus seinem Mund drangen, schienen aus großer Ferne zu kommen – als würden sie von jemand anderem gesprochen. Später würde Simeon sich gar nicht mehr entsinnen, sie gesagt zu haben. Und wenn seine zukünftigen Anhänger ihm erzählten, was er gesagt hatte, würde er behaupten, keine Ahnung zu haben, was die Worte bedeutet hatten.
    Josef schob ihn zur Seite und zog Maria mit sich, um den Verrückten so schnell wie möglich loszuwerden. Einen Augenblick hielt Simeon Marias Hand ganz fest, dann ließ er sie seinen Fingern entgleiten. Er sah ihr nach, die Augen unvermittelt und unerklärlicherweise voller Tränen. Voller Freude. Etwas hatte sich in ihm geregt. Etwas, das sich unmöglich erklären ließ.
    Balthasar schwebte über der Erde – hielt Ausschau, wartete ab. Er stand auf Hebrons nördlicher Mauer, neben der daran gelehnten Leiter, auf der er hochgeklettert war. Er sah auf den Basar hinab, der sich am Fuß der Mauer erstreckte. Um ihre dringend benötigten Vorräte zu kaufen, brauchte er Geld. Und um an Geld zu gelangen, brauchte er eine Tasche, die sich ausrauben ließ.
    »Komm schon«, murmelte er vor sich hin. »Ich weiß, dass du irgendwo da draußen bist …«
    Hier gab es nicht so viele mögliche Opfer wie auf den Märkten von Jerusalem oder Antiochia. Hebrons Basar war entschieden kleiner, mit weniger Waren, die man kaufen und weniger überquellenden Geldbeuteln, die man stehlen konnte. Er ließ den Blick von seinem Ausguck über die Erde schweifen, lediglich knappe fünf Meter über dem Boden und dennoch hoch über allem: über den Menschen, die sich aneinander vorbeischoben und sich die staubige Straße auf- und abbewegten, die quer durch die Mitte des Marktes führte. Über den mit Kaufleuten feilschenden Männern, den Frauen, die widerspenstige Kinder hinter sich herzogen. Er sah Caspar, der mit einem Mann über den Preis von Trockenobst stritt, während Melchyor dick und treu hinter ihm stand. Eine alte Frau mit einem Klumpfuß, die blind vorüberhinkte. Einen Hund, der sich mit der Schnauze durch den Dreck wühlte und nach irgendetwas schnüffelte, das vielleicht …
    »Da bist du ja.«
    Balthasars Blick blieb an dem stämmigen Mann in schweißnassem Gewand hängen. Der Qualität seiner Kleidung und dem Umfang seines Bauches nach zu schließen war er wohlhabend. Und sein ungleichmäßiger Schritt verriet, dass er etwas Schweres am Gürtel trug. Balthasar tippte darauf, dass es sich nicht um eine Waffe handelte. Nein, du bist kein Kämpfer. Du

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