Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)
Wüste schleppten. Bei dem Gedanken musste er einfach lächeln. Eine Legion der besten Truppen des Kaisers auf einem Botengang für Judäa.
Deine kleine »Marionette« hat dich ausgetrickst, Augustus.
Allerdings gab es da eine Sache, mit der Herodes nicht gerechnet hatte: dieser »dunkle Priester«. Es gingen Gerüchte um, dass ein Wahrsager mit den Römern reiste, eine Art Zauberer. Gerüchte über ein Ritual in der Wüste. Ein Blutopfer, eine kupferne Schlange. Seine Berater hatten ihm diese Gerüchte zugetragen. Sie hatten ihn gewarnt, dass die Römer etwas Seltsames mit sich über das Meer gebracht hatten. Etwas, das vielen Männern, die Zeuge dessen geworden waren, Angst eingejagt hatte. Zwar hatte es Herodes überrascht zu hören, dass Römer sich wegen irgendetwas an die Götter wandten, doch er hatte sich nicht gestattet, die Besorgnis seiner Berater zu teilen. Na und? Die Juden hatten ihre Propheten. Die Griechen hatten ihre Orakel. Sollten die Römer doch ihre Priester haben.
Ein Steinbock sah auf, während er gedankenlos das trockene Gras zwischen den Zähnen zermalmte – die geschmacklosen Halme, die er von morgens bis abends zu suchen und aus der heißen Erde zu ziehen gezwungen war. Etwas stimmte nicht. Er hatte aus dem Augenwinkel noch ein Glitzern erhascht, hatte noch eine winzige, beinahe nicht wahrnehmbare Vibration unter sich gespürt. Und jetzt beobachtete er – ohne zu blinzeln, angespannt und fluchtbereit –, wie drei Kamele in hundert Metern Entfernung an der Herde vorbeizogen. Nah genug, um Besorgnis zu erregen, aber nicht so nahe, dass die Steinböcke in alle Winde davonstoben. Noch nicht.
Der Steinbock konnte sich nicht erinnern, je zuvor ein Kamel gesehen zu haben, obwohl er schon unzählige gesehen hatte. Er sah zu, wie die großen Tiere von links nach rechts durch sein Blickfeld zogen – fünf Menschen auf ihren Rücken, wobei einer etwas Kleines in den Armen hielt. Sie bewegten sich langsam, zielsicher in die Richtung, die der Steinbock, der den richtigen Begriff nicht kannte, »das Ding da drüben« nannte. Das große glatte Ding, hinter dem sich alle Menschen versteckten. Das Ding, dem sich er und seine Herdenmitglieder nicht zu nähern wagten.
Da der Steinbock überzeugt war, dass von den Kamelen oder ihren Reitern keine Gefahr ausging, senkte er den Kopf und nahm seine Suche nach vertrockneten Grashalmen wieder auf. Diese zwanghafte Suche betrieb er nun schon seit dem Moment, als er auf nassen, wackeligen Beinen auf die Welt gekommen war, und sie würde bis zu seinem letzten Atemzug weitergehen. Als er das nächste geschmacklose Grasbüschel aus dem Wüstenboden zerrte, hatte er längst vergessen, dass die Kamele jemals da gewesen waren.
Genau wie er die unzähligen Römer vergessen hatte, die vor einer Stunde vorübermarschiert waren.
Josef starrte zu dem Steinbock zurück. Eine gewaltige Herde war auf sie aufmerksam geworden und beobachtete sie eingehend, die Hörner hoch erhoben, während ihre Mäuler gedankenlos wiederkäuten. Natürlich waren es dumme kleine Tiere. Doch sie waren ein Lebenszeichen in einer leeren, endlosen Wüste, welche die Reisenden stundenlang umgeben hatte.
Endlich war Hebron in Sicht, auch wenn es noch ein paar klägliche Meilen dauern würde, bis sie seine glatten Außenmauern erreichten. Es würden schweigende Meilen werden, denn Josef, Maria und die anderen hatten seit Stunden kaum ein Wort gewechselt. Sie waren alle wie gerädert dank einer Nacht, die sie sich auf dem Boden einer Höhle hin und her gewälzt hatten, alle schwach vor Hunger und Durst, und ihnen war übel von der gnadenlosen Hitze. Und das Baby – das Baby war wieder gespenstisch still geworden. Zu ausgetrocknet, um nach Muttermilch zu schreien.
Gott weiß, wie lange sie geritten waren. Acht Stunden am Stück? Zehn? Sie waren vor der Morgendämmerung aufgebrochen, und obwohl die Sonne endlich auf ihre Wiege im Westen zuzusinken schien, waren ihre Strahlen immer noch mörderisch, wie sie so vom Himmel niederbrannten, ihre Gesichter und die Oberseiten ihrer Füße rösteten und ihre Haut schmerzhaft rosa verfärbten.
Geduld, Josef … Gott wird für uns sorgen …
Es war zu seinem Wüstenmantra geworden. Nur so ließ sich der Zweifel vor den Mauern seiner Gedankenfestung halten, wo er Josef nun schon seit Monaten belagerte und ach so geduldig abwartete, bis sein Verstand ausgehungert war und sich abschlachten ließ. Josef spürte die Allgegenwart des Zweifels überall um sich
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