Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
Vom Netzwerk:
vor, außer vielleicht ihre Verwandtschaft. Sippenhaft! Wie bei den Nazis - das könnt ihr doch nicht machen!«
    »Dann denkt euch was Besseres aus!«, schnaubte Wolf Jäger und dämpfte seine Stimme sofort wieder: »Schutzhaft. Fluchthilfe. Was weiß ich? Diese ganze Nazibrut muss von der Bildfläche, wenigstens für die nächsten zwei, drei Tage. Du weißt, worum es geht. Und mal ehrlich: Wir stecken sie ja nicht gleich ins Gefängnis. Irgendwas findet sich schon, oder Schiller?«
    Schiller nickte verzweifelt. Irgendwas fand sich immer. Irgendeiner, der die Drecksarbeit macht. Irgendein Grund. Oder eben irgendeine Rechtfertigung hinterher.
    Wolf schob seine Unterlippe grimmig nach vorn, wie immer wenn er keinen Widerspruch hören wollte. Ich schüttelte den Kopf.
    »Bitte, Ev!«, fleht er dann plötzlich, »da hängt eine Menge dran, nicht nur für das Land, auch für mich persönlich!«
    So hatte ich Wolf noch nie erlebt. Er wollte entwaffnend ehrlich klingen, es gelang ihm jedoch nicht. Eher hätte ich ihm noch die harte Tour abgenommen, ruppig und verletzend. Aber offenbar sprang er über jeden Schatten, wenn es darauf ankam, versuchte es zumindest. Nur worauf kam es ihm an? Was spielte er für ein Spiel?
    »Tut mir leid, Wolf, irgendjemand wird sich schon finden.«
    Er rief mir noch etwas nach, aber ich musste mir nicht mal die Ohren zuhalten, während ich von der Tribüne stürmte. Chor und Orchester steigerten sich gerade ins Finale: Und wer's nie gekonnt , der stehle weinend sich aus diesem Bund. Die hatten leicht singen: Ich konnte es nie und würde es niemals können. Aber ich weinte nicht. Ich war froh und wusste, was zu tun war.
    2./3. April Es ist Mitternacht durch, und die Welt steht Kopf. Nur Josef schläft und schnarcht wie ein Bär, was schon fast an Fahnenflucht grenzt in unserer Lage. Aber wie der sich in den letzten Stunden aufgeführt hat, sind ohnehin Zweifel an seiner Manneszucht angebracht - zu widerlich ist das für Einzelheiten, fast so widerlich wie diese Propaganda, mit der man uns bombardiert.
    Die ganze Wohnung ist voll davon. Auf den ersten Blick könnte sie einem Intellektuellen gehören, einem Lehrer vielleicht oder einem Beamten. Vaters Arbeitszimmer sah kaum anders aus. Doch auf den Inhalt der Regale kommt es an. Alle Bücher und Bildbände beschäftigen sich nur mit knapp 20 Jahren und tun gerade so, als habe es in unserer Jugend nur Politik und Terror gegeben. In der ganzen schrecklichen Bibliothek gibt es weder ein Davor noch ein Danach, als sei 1945 das Ende der Geschichte gewesen. Die Bilder wirken alle, als wäre es damals immer dunkel gewesen. Aber, und das wirst du wohl auch zugeben, es gab doch auch herrliche Tage, »Hitlerwetter«, wie man so schön sagt, seit es keinen Kaiser mehr gibt, im Sommer zum Beispiel.
    Wenn der Wohnungsinhaber von Beruf Historiker ist, was naheliegt, muß sein Horizont ein ziemlich beschränkter sein. Alle seine Bücher beschreiben den Aufbruch in die neue Zeit nur von seinen negativsten Seiten. Alles Gute, die Begeisterung der Jugend, die menschliche, technische und charakterliche Überlegenheit unseres Volkes, wird entweder ausgeblendet oder aufs Verwerflichste denunziert. Allein die Lügen in dem kleinen Stapel Bücher, den mir Monse auf den Tisch geknallt hat, reichen für 1000 Jahre Zuchthaus.
    Zum Teil ist es die gleiche Greuelpropaganda, die über Feindsender schon damals das Land vergiften sollte: Über die angeblichen Massenmorde im Osten und in den Konzentrationslagern, dabei weiß ich noch genau, wie mir Vater einmal plausibel erklärt hat, warum da nichts dran sein kann. Deutsche tun so was nicht, hat er gesagt, und daß es sogar Ärzte in den Lagern gebe. Er mußte es wissen, er hatte ja oft da zu tun.
    Aber diese Bilder, Leichenberge und Schuhe, Kinder und Stacheldraht. Wer denkt sich so etwas aus? Wozu soll es Ärzte dort geben, wenn man die Menschen sowieso nur umbringen will?
    Bevor er ging, hat Monse noch eine kleine schwarze Schachtel in eine größere geschoben und dazu das Fernsehgerät eingeschaltet. Es begann harmlos mit Bildern und Orchestermusik wie bei den großen Feldzugfilmen, die wir gemeinsam gesehen haben (»Feuertaufe« oder »Sieg im Westen« - erinnerst Du Dich?).
    Doch danach werden unsere Soldaten nur noch auf der Flucht gezeigt. Sie werfen ihre Waffen weg, lassen sich widerstandslos festnehmen, hungern, frieren, sterben. Dazu eine Stimme, die triumphiert und die vermutlich gefälschten Bilder hämisch

Weitere Kostenlose Bücher