Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
Vom Netzwerk:
Eilverfahren glaubhaft zu machen, wer er ist. Das ist Jura. Das verstehen wir nicht.«
    Mir ging längst etwas anderes durch den Kopf. Es war nicht nur ein Spruch: Die alten Säcke, die heute in Gerichten, Medien oder der Politik den Ton angaben, kannten sich tatsächlich alle von früher, aus irgendwelchen WGs oder besetzten Häusern der 60er oder 70er Jahre, vom Gruppensex oder einer dieser Oldschool-Demos, bei denen alle noch die Arme ineinander hakten. Im Grunde wurde das ganze Land von einem einzigen Küchentisch aus regiert. Es hätte mich nicht gewundert, wenn auch Gerd und sein Kumpel Strakka dazu gehört hätten. Und mir war auf einmal richtig übel.
    »Scheiße, Gerd: Dein Toskana-Freund und Zeitz, Jäger und Matti - das ist doch alles die gleiche Clique! Bist du eigentlich wahnsinnig, ausgerechnet bei einem von denen ...«
    »Es weiß ja keiner. Ich habe nicht mal Strakka gesagt, dass wir Fritz von Jagemann haben. Obwohl der ständig drängelt.«
    »Aber wir müssen es Fritz sagen. Das sind wir ihm schuldig. Er hat keine Ahnung von diesen Spielchen, von seiner Schwester und was für seinen Bruder davon abhängt.«
    »Glaubst du, das macht es einfacher?« Busch zuckte mit den Schultern und schaute auf die Uhr. »Jedenfalls brauchen wir die Bänder. Jetzt sind alle auf der Demo, es wird ein Kinderspiel.«
    »Lass mich das machen, ich bin wenigstens ...«
    »Ach, und ich? Ein alter Mann oder was?«
    Sein Bart zuckte mild, als er mir die Kamera in die Hand drückte, seine große, die heilige. Mit der richtigen Filmmusik hätte das ein echt feierlicher Moment sein können. Nur leider hatte Gerd keinen Sinn für solche Dinge.
    »Du gehst zur Demo«, sagte er, »und versuch dort die Thorwart zu treffen! Die weiß vielleicht gar nicht, wessen Karre sie zieht. Vielleicht hört sie ja auf dich. So kannst du auch gleich ein für alle Mal testen, wie ehrlich sie es mit dir meint. Mann, Monse, sie könnte deine Mutter sein!«
    Tut mir leid, Evelyn, manchmal muss es wörtlich sein, schon damit hinterher niemand behauptet, ich hätte mehr machen können, ihn davon abhalten oder gar nein sagen. Also beim besten Willen: Keine Chance - Gerd wollte es so.
    Da kommst du eines Tages auch noch drauf, Benny, dass der beste Wille und Wollen zweierlei sind, so wie Lieben und Liebe, Machen und Macht. Man darf das nicht verwechseln, sonst macht der beste Wille, was er will, genau wie es die Macht mit einem macht.
    Das klingt kompliziert, ich weiß, und das ist es auch. Ich zum Beispiel wollte auch nie sein, was ich inzwischen war, nie tun, was ich in diesen Tagen tat. Eigentlich wollte ich nicht mal mehr auf diese Demo, obwohl es die Leute vor dem Brandenburger Tor bestimmt auch nur gut meinten: 100000, vielleicht sogar 150000 Menschen, die mit Kerzen in der Hand gegen Neonazi-Terror antraten, ein endloses Lichtermeer - von der Tribüne aus gesehen.
    Ein Volk, ein Land, ein guter Wille. Doch ich kam mir trotzdem vor, als stünde ich schon wieder auf der falschen Seite. Allein. Zwischen lauter Regierungsbeamten. Wolf hatte seine Frau dabei. Schiller genoss es ausgiebig, die blöde Kuh zu duzen. Aber ich hatte, auch wenn ich mir davon nichts anmerken ließ, natürlich nur Augen für dich.
    Ich sah dich inmitten der drängelnden Journalistenmeute winken, obwohl dort alle winkten. Hörte deine Stimme, obwohl alle riefen. Jeder wollte die prominenten Kerzenständer einen Augenblick für sich. Der Innenminister lächelte reihum. Wolf hakte sich bei Frauchen unter und hielt beide Flammen in die Objektive. Danach ließ euch Schiller von den Bodyguards zurückdrängen. Du riefst noch einmal meinen Namen. Es tat mir leid, aber versteh doch, Benny: Ich konnte nicht. Von wegen auf Linie gevögelt, du hattest ja keine Ahnung. Es ging längst um viel mehr als um Wolf, uns beide oder diesen blöden Bunker. Dachte ich jedenfalls.
    »Ist das nicht berauschend«, sagte Wolf, und der Innenminister schluckte ebenfalls verzückt. Wachs tropfte auf ihre Trenchcoats und auf handgenähte Schuhe. Niemand kümmerte das. Es gab Wichtigeres: Ergriffen standen sie da, stolz vor allem auf sich selbst und ihr leuchtendes Volk.
    »Es könnten auch Fackeln sein, findest du nicht?«
    Schiller grinste mich zynisch von der Seite an. Im Hintergrund leuchtete die neue Reichstagskuppel wie von Speer illuminiert. Der Innenminister forderte mehr Zivilcourage und erntete jede Menge couragierten Applaus. Mit jeder Minute wurde ich unruhiger, denn es stimmte leider: Auf

Weitere Kostenlose Bücher