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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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überschlugen sich: Wenn es hier auf dem Boden gelegen hatte, hatte es Fritz womöglich auch gelesen. Dann wusste er, dass seine geliebte Schwester noch lebte. Würde sie suchen und glauben, ich hätte es ihm verschwiegen. Organisierte Kriminalität. Die totale Vergangenheitsbewältigung. Das Blut von Busch. Am Ende lag dieser Worch sogar richtig: Fremd- und Eigengefährdung war nun tatsächlich nicht mehr auszuschließen.
    »Ja? Ja. Nein.« Hanka hatte inzwischen doch deine Nummer gewählt und erschrak über meinen erschrockenen Blick. Sie schien völlig arglos im Umgang mit Telefonen. Mir war es dann aber auch egal, ob diese Leitung nur Faxe aus dem BKA empfing oder mehr.
    »Ja. Er steht neben mir. Warte ...«
    Ich übernahm das schwere Faschisten-Handy, hörte dich meinen Namen fragen und dann lange schweigen. Ich traute mich nicht, nach Gerd zu fragen. Dass du mir lieber zuerst die Familiengeschichte der von Jagemanns erzählen wolltest, ließ mich das Schlimmste fürchten. Nur deshalb habe ich aufgelegt. Ich war am Ende. Wegen Gerd. Es hatte nichts mit dir zu tun.
    2./3. April/II Ich bin auf dem Weg, Liesbeth. So groß kann diese Stadt gar nicht sein, daß ich die Wahrheit nicht finde. Allen Verrätern und Lügen zum Trotz: Die ganze Nacht werde ich suchen, und wenn es so sein soll, eben allein. Denn Josef hat nun auch aufgegeben, aber im Gegensatz zu Konrad mit Hof und Familie keine annähernd plausible Ausrede.
    Wie ein charakterloser Schwächling ließ er mich im Stich, nachdem er schon mehrfach gejammert hatte, daß es keinen Zweck mehr habe. Er wollte weder seine Uniform noch einmal anziehen noch an seinen Eid erinnert werden, und am meisten befremdete mich, daß er sich seinem Schicksal fast erleichtert ergab. Wie ein sorgloses Kind am ersten Ferientag nahm er zwei Stufen auf einmal, als wir die Wohnung verließen. Seine Haare waren rabenschwarz wie immer und scheinbar konnte es der Jude kaum erwarten, seine Stadt zurückzuerobern, nur eben in Zivil statt bewaffnet, eher neugierig statt mit der gebotenen Vorsicht. Von Verzweiflung überhaupt keine Spur.
    Mein letzter Appell an seine Ehre verpuffte wie ein nasser Blindgänger: Von mir aus könne er seinen Abschied ja nehmen, beschwor ich ihn auf der Straße noch einmal, aber doch nicht nach eigenem Ermessen! Wir würden schon noch jemanden finden, der uns ehrenvoll und förmlich aus dem Dienst entlässt. Es gab immer eine zuständige Stelle. Für alles. Gerade wir als politische Soldaten müssten doch Vorbild sein ...
    Doch mit ihm war nicht mehr zu reden.
    Ich versuchte Haltung zu bewahren und schüttelte zum Abschied nur traurig den Kopf. Dann wendete ich auf dem Absatz und schaute nicht zurück. Sollte er doch gehen! Sich gehen lassen!
    Wir werden weiter marschieren , wenn alles in Scherben fällt...
    Blick und Schritt stur geradeaus summe ich mir seitdem Mut an. Es fällt nicht leicht nach so vielen Jahren mit Josef. Aber ich kenne auch die Konsequenzen: Wer sich umdreht, hat schon verloren. Denke nur an Lot und seine Frau! Nur leider weiß ich gar nicht, wo ich auf meinem Weg zuerst wegsehen soll: Männer reiben sich auf offener Straße aneinander. Huren teilen sich die Nacht mit Müßiggängern aus aller Welt. Ohne jede Scham feiern sie den Untergang. Sodom und Gomorra. Anders lassen sich die Verhältnisse in dieser Stadt wirklich nicht beschreiben, da kann Monse zehnmal behaupten, es sei nicht in allen Vierteln so. Von wegen Germania, die neue Hauptstadt der Welt. Eine defätistische Welle der Zersetzung muss alles weggespült haben, was diese Stadt einst ausgemacht hat. Großberlin steht kurz vor dem Fall.
    Immerhin zeigt die neue Armbinde eine gewisse Wirkung. In einem Doppelstockbus, der mich ins Regierungsviertel bringen soll, machen Volksgenossen respektvoll Platz. Manche stehen sogar auf, wenn ich mich nur in ihre Nähe setze, andere tuscheln hinter meinem Rücken. Eine junge Frau ist darunter, die ihre beiden Begleiter laut beschimpft, warum sie nichts unternähmen: Ob sie das denn nicht sehen würden, die Uniform, Abzeichen und alles. Ohne Zweifel meint sie mich. Die Männer versuchen, sie zu beruhigen. Sie aber zetert weiter, es sei eine Schande, und das Wort feige fällt auch. Recht hat das Mädel: Die beiden strotzen vor Kraft aber scheinen nicht mal daran zu denken, ihre Jugend in den Dienst der Heimat zu stellen. Schämen sollen sie sich dafür!
    Eine Haltestelle nach dem Brandenburger Tor steige ich aus. Es kann nicht mehr weit sein bis

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