Die Nachhut
diese Adresse?«
»Von Evelyn, das sagte ich doch schon.«
»Und die, wieso weiß sie davon?«
»Keine Ahnung! Aber sie meint es gut.« Dabei musterte sie mich seltsam und nickte anerkennend: »Benny, also, aha.«.
Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Von ihrem komischen Lächeln. Von dir. Keine zwei Stunden vorher hattest du noch deine Gorillas auf mich gehetzt und so getan, als hätten wir nie - nun ja, miteinander geduscht. Nun tauchte plötzlich irgendeine Hanka hier auf. An einem Ort, von dem niemand wissen durfte. Mit blutigen Händen. Blut von Busch. Womöglich hatte er von Anfang an Recht gehabt: Was gingen uns diese alten Männer an?
»Bitte erschrecken Sie nicht«, sagte ich an der Tür wie ein Gerichtsmediziner vor seinem Leichenkühlschrank.
Sie hielt die Luft an, konnte ihre Neugier kaum zügeln, blieb aber trotzdem immer zwei Meter hinter mir.
»Fritz?« Ich tastete den fremden Flur nach einem Lichtschalter ab und hörte nur den Fernseher rauschen. »Josef? Ich bin’s, Monse, nicht gleich wieder schießen, okay? Hallo?«
In dem großen Salon neben der Bibliothek liefen die Geräte noch. Der Videorekorder hatte das Band zurückgespult und wieder aus gespuckt. Ein paar der Bücher, die ich Fritz wahllos ans Herz gelegt hatte, lagen aufgeschlagen auf dem dicken Teppich. Zumindest hatte er die meisten einmal angefasst.
Mit deiner Freundin im Schlepptau klopfte ich an die Schlafzimmertür. Das Bett war leer, Bad und Gästezimmer ebenso. Sogar in einem begehbaren Schrank sahen wir nach und stocherten mit einem Kleiderbügel in den Anzügen des Produzenten herum. Nichts.
Josef und Fritz hatten den einzig sicheren Unterschlupf aufgegeben - obwohl: Was hieß schon sicher, wenn sogar die SoRex die Adresse kannte? Womöglich hatte man sie längst geschnappt.
Hanka begann sofort, den Salon aufzuräumen, sammelte die Bücher vom Boden auf, schaltete Fernseher und Videorecorder aus und richtete die Fernbedienungen parallel zueinander aus.
»Was machen Sie denn da?«
Sie schaute erschrocken auf, dann auf ihre Hände, die gerade ein Sofakissen scheitelten. Unter ihrem Arm klemmten Papiere.
»Wo gehört das hin?«
»Woher soll ich das wissen? Ist ja nicht meine Wohnung. Haben Sie einen Putzfimmel oder so was?«
»Nur wenn ich nervös bin. Entschuldigung.«
Sie strich die Papiere sorgfältig glatt und legte sie auf einen schmalen Tisch an der Wand zum Arbeitszimmer ab, wo sie vermutlich aus dem Faxgerät gequollen und heruntergefallen waren. Ein paar Sekunden blieb sie daneben stehen und knetete ihre Finger, als könnte sie sich nur schwer im Zaum halten. Dann sagte sie »Tja«, hob die Schultern und wollte sich verabschieden.
»Aber wir müssen doch irgendetwas unternehmen!«
»Warten«, sagte sie und nickte heftig, als wollte sie mir so Mut machen, »ich würde warten - wo sollen sie denn auch hin?«
»Können Sie nicht Evelyn noch einmal anrufen?«
»Klar. Aber nicht zu Hause.«
»Sondern?«
Sie zögerte. »Ich glaube, sie sind ... sie fahren einfach spazieren. Evelyn meinte, das wäre am sichersten.«
»Sie? Wer denn noch? Dieser Schiller etwa?«
»Eifersüchtig?« Wieder huschte dieses zweideutige Grinsen über ihr Gesicht, während sie nach einem Telefon Ausschau hielt.
Was hattest du ihr bloß erzählt?
Neben dem Faxgerät stand so ein altes schwarzes Ding mit Wählscheibe. Ich nahm den tonnenschweren Hörer ab, lauschte hinein und reichte ihn weiter. Allein die Null ratterte eine Ewigkeit und ich tastete meine Taschen nach einem Stift ab. Mit der anderen Hand griff ich nach einem der Blätter neben dem Faxgerät, um deine Nummer zu notieren. Es war irgendein »Überweisungsschein«, ausgestellt von irgendeinem Dr. Worch, und ich dachte mir nichts weiter dabei, bis mir der Name des Patienten ins Auge sprang: von Jagemann hieß der, Elisabeth war ihr Vorname. Tea-Time im Stiftsgarten.
»Warten Sie«, sagte ich, ließ eine Hand auf die Telefongabel fallen und starrte auf den Zettel.
Hanka zog die Brauen hoch und las halblaut mit. Es war ein Fax, laut Absenderkennung nicht mal eine Stunde alt und stammte, wie drei weitere Seiten, aus dem Bundeskriminalamt. AOK, so viel wusste ich, stand für Abteilung Organisierte Kriminalität. Hanka kannte dafür ein paar von den lateinischen Fachbegriffen. Am Ende empfahl der Doktor »dringend« die stationäre Aufnahme und drohte - zweimal fett unterstrichen - »Fremd- und Eigengefährdung nicht ausgeschlossen!«
Meine Gedanken
Weitere Kostenlose Bücher