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Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)

Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht am Strand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Vortreppe
hinunterspringt, während er spricht.
    »Gern.« Sydney stellt ihre Tasse nieder. An den Wochenenden hat sie frei.
    Sydney folgt Jeff zur kleinen Terrasse hinaus, wo Tullus aufgeregt hin
und her läuft.
    »Bleib!«, befiehlt Jeff und versucht, das Halsband zu fassen zu bekommen,
damit er den Karabiner festmachen kann. Aber Tullus will nicht stillhalten.
    »Man muss sich fragen, wie viel Grips er hat«, bemerkt Jeff. »Er weiß,
dass wir nicht losgehen können, wenn er nicht an der Leine ist. Er möchte unbedingt
los, aber er lässt sich die Leine nicht anlegen.«
    »Braucht er denn eine?«, fragt sie.
    »Ja, sonst würde er Möwen jagen, und wir würden ihn stundenlang nicht
wiedersehen. Schlimmer noch, er würde eine fressen.«
    Tullus legt ein flottes Tempo vor, und Sydney bohrt ihre Zehen in den
kühlen Sand. Sie bemerkt verwundert, dass Jeff dasselbe Hemd und dieselbe Badehose
trägt wie am Tag zuvor. Als sie ihn einholt, fängt sie einen Hauch seines Geruchs
auf. Er riecht ungewaschen, wie jemand, der noch nicht geduscht hat.
    »Was für ein Tag«, sagt Jeff, unwissentlich die Worte seines Bruders
wiederholend.
    Eine Zeit lang gehen Sydney und Jeff schweigend nebeneinander. Der Glanz
des Wassers tut den Augen beinahe weh, aber dieses sichtbare Sprühen trägt direkt
zu Sydneys Wohlgefühl bei.
    An der Kaimauer kommen Leute aus den Häusern. Eine Frau in einem weißen
Bademantel und mit einer Sonnenbrille blickt zum Horizont. Ein Mann sitzt auf einer
Bank und macht eine Fliegenrute fertig. Ein Paar steht mit Kaffeetassen in den Händen
auf der Treppe. Es wäre unmöglich, denkt Sydney, diesen Tag ohne ein Wort über seine
Klarheit zu begrüßen.
    »Wo leben Sie?«, fragt Jeff nach einer Weile.
    »In Waltham.«
    »Tut mir leid, das mit Ihrem Mann.«
    »Danke.«
    »Was haben Sie im Herbst vor?«
    Tullus untersucht ein Büschel Seetang. Jeff und Sydney bleiben bei ihm
stehen.
    »Ich weiß noch nicht«, antwortet Sydney. »Ich sollte mein Studium fertig
machen. Aber ich weiß nicht, ob ich an die Brandeis zurückwill.«
    »Warum nicht?«
    »Ich wäre lieber in der Stadt. Ich bin sowieso schon eine alte Studentin.«
    »Ich habe einen Studenten, der ist zweiundvierzig.«
    Jeff hält an, während Tullus sein Geschäft verrichtet. Sydney wendet
sich diskret ab und lässt den Blick zum Horizont schweifen.
    »Was hat Sie an die Universität gezogen?«, fragt Sydney.
    »Das kann ich nicht so genau sagen. Manchmal glaube ich, dass ich ganz
einfach den Absprung nicht gefunden habe.«
    Sie versucht, sich Jeff in einem Seminarraum vorzustellen, Kreide in
der Hand, Schlagwörter an der Tafel, Staub an den Manschetten seines Pullovers.
Das Bild ist ansprechend.
    »Ich habe Julie wirklich gern«, sagt sie. »Interessant, dass zwischen
Ihnen so ein großer Altersunterschied besteht.«
    Jeff schweigt einen Moment, und Sydney fragt sich, ob die Bemerkung zu
persönlich war.
    »Wir wurden immer in dem Glauben bestärkt, Julie wäre kein Unfall gewesen«,
erklärt Jeff schließlich, während er das Hundehäufchen mit einer Spielzeugschaufel
vergräbt, die er in der Tasche hatte. Er senkt die Schaufel tief in sauberen Sand,
um sie zu reinigen. »Das gehört zur Familienmythologie.«
    Sydney würde gern fragen, ob etwas passiert ist, das diese leichte geistige
Behinderung Julies verursacht hat, aber ihr fällt keine gute Formulierung für die
Frage ein.
    »Mein Vater hat erzählt, dass Sie ganz wunderbar mit ihr umgehen«, bemerkt
Jeff. Er überlässt es wieder Tullus, das Tempo zu bestimmen.
    »Es ist leicht, mit ihr umzugehen.«
    »Meine Mutter war einundvierzig, als sie Julie bekam. Mein Vater war
fünfzig.«
    Ist das eine Erklärung? Ein resoluter Wind bläst Sydney das Haar um die
Ohren. »Gibt es Tätigkeiten, die Julie besonders liebt?«, fragt sie plötzlich. »Ich
frage das, weil sie eine akademische Ausbildung, wie Ihre Eltern sie für sie wünschen,
vielleicht nicht schaffen wird.«
    »Die sie liebt?« Erstaunt über die Frage, dreht Jeff sich herum. Seine
Haut ist fein mit Sommersprossen gesprenkelt. Er ist ein nordischer Typ. »Im Garten
werkeln«, antwortet er nach einer Pause. »Mit Tullus spazieren gehen.« Er hält inne.
»Die Wünsche hat übrigens meine Mutter. Ich glaube, mein Vater sieht ziemlich klar.«
    »Mir ist aufgefallen, dass Julie oft im Rosengarten ist.«
    »Sie wird einen Mann finden«, meint Jeff. »Es wird schon alles gut werden.«
    Sydney ist bestürzt. Obwohl in Julies Fall ein

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