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Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)

Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht am Strand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Wagen
fährt, und denkt eine ganze Weile über die Frage nach. Vielleicht einen Passat,
aber eher einen Lexus. Sydney hofft auf den Lexus. Sie stellt sich die Freundin
kühl und blond vor, kann sich aber eigentlich Jeff gar nicht mit einer Freundin
vorstellen. Es ist nicht etwa so, dass sie findet, er verdiene keine oder sei nicht
attraktiv genug. Es ist nur einfach so, dass sie es sich nicht vorstellen kann.
    Sydney geht mit ihrem Tee auf die Veranda hinaus und nimmt sich die Teakliege
mit dem weißen Polster. Aus dem Haus hört sie schwach die verärgerte Diskussion
um einen verloren gegangenen Schlüssel.
    Ich weiß, dass ich ihn in der Tasche hatte. Hast du
inzwischen gewaschen?
    (Vor Jahren, in Troy, hat ihr Vater einen Schlüssel verloren, oder
vielleicht auch ihre Mutter. Zur Wohnung? Zum Wagen? Wozu könnten Eltern sonst noch
Schlüssel haben? Schwelende Spannung, die sich an diesem glühend heißen Memorial
Day entlädt wie zur Feier des Tages. Sydney – vielleicht elf – sitzt draußen auf
der Vortreppe aus Beton, eine Vortreppe, wie alle anderen Häuser in der Straße sie
haben, und hört aus dem offenen Fenster die leisen Anklagen ihres Vaters, die beinahe
hysterische Stimme ihrer Mutter, den Streit, bei dem es gar nicht um einen Schlüssel
geht, sondern um enttäuschte Erwartungen. Hat Sydney wirklich, aus dem Zimmer herausgeschleudert,
das Wort Jude gehört? Als ihr Vater ihre Mutter bei einem
Konzert im Russell Sage College kennenlernte, lebte er in Troy und arbeitete bei
einer alternativen Zeitung. Sydneys Mutter hielt ihn für einen Schriftsteller. Er
hielt sie für eine Malerin. Ihr Vater, ungewöhnlich wortkarg – jetzt so weit gebracht,
dass er brüllt; hat er wirklich gesagt, die Täschchen ihrer Mutter seien billiger Kitsch ? –, lebte im Mietshaus seiner Mutter, ein akzeptables
Arrangement für ein junges Paar, das ein Kind erwartete und hochfliegende künstlerische
Phantasien zu verwirklichen hatte. Die Familie von Sydneys Mutter in Connecticut
kam nicht zur Hochzeit ihrer schwangeren Tochter mit einem Juden in Troy, diesem
gottverlassenen Nest, das mindestens ebenso unmöglich war wie seine Religion. Dass
einer Jude war, dafür konnte er vielleicht nichts, aber man konnte doch erwarten,
dass er etwas Besseres als Troy zu bieten hatte. So sah man das.
    Als die alternative Zeitung einging, wechselte ihr Vater zum Troy Record , einem Boulevardblatt voller Anzeigen, lokaler Sportberichte
und Nachrufe. Ihr Mutter machte Seidentäschchen und ging hoch, wenn jemand in Hörweite
von Kunstgewerbe sprach. Einer war tief enttäuscht vom
anderen, fühlte sich betrogen und für dumm verkauft. Ihr Vater vielleicht etwas
weniger, er schien qua Geburt ans Scheitern gewöhnt. Sein eigener Vater, ein Schneider
zwei Querstraßen weiter, hatte seine Werkstatt an einen Metzger verkaufen müssen,
als die Italiener das Viertel übernommen hatten. Sydneys Großmutter hatte klugerweise
genug Geld gespart, um das Reihenhaus zu kaufen. Sie wohnte im obersten Stockwerk
und vermietete die beiden Wohnungen darunter.
    Sydneys Vater kommt zur Vortreppe heraus, weil er weiß, dass seine Tochter
dort ganz allein sitzt und darauf wartet, dass sie zum Familienpicknick aufbrechen.
Der Olds, der vor dem Haus parkt, ist abgeschlossen.
    »Magst du ein Eis?«, fragt ihr Vater.)
    In einem grandiosen Schauspiel lichtet sich der Nebel. Das Wasser
ist ein endloses Glitzern. Selbst das Strandgras leuchtet, gibt mehr Licht ab als
Grün. Die Luft ist wie frisch gereinigt. Gutes Wetter zum Wäschetrocknen. Sydney
fällt ein, dass sie seit Jahren keine Wäsche auf der Leine mehr gesehen hat.
    »Was für ein Tag«, sagt Ben, der vom Laufen schon zurück ist, durch eine
kleine Öffnung in der Fliegengittertür. Er trinkt einen Schluck Orangensaft direkt
aus dem Karton, ein merkwürdig ungehobeltes Verhalten, infolge dessen nun andere
nicht mehr von dem Saft trinken können. Sydney sagt kein Wort. »So einen wird es
vielleicht den ganzen Sommer nicht mehr geben«, fügt Ben mit einem demonstrativen
Blick zu ihr hinzu.
    Als die Fliegengittertür erneut geöffnet wird, springt Tullus hinaus,
als wäre er jahrelang eingesperrt gewesen. Er beschnuppert Sydneys bloße Beine kurz
mit seiner kalten Nase, bevor er den Plankenweg hinunterrennt. An der kleinen Terrasse
hält er schwer atmend an.
    »Kommen Sie mit?«, fragt Jeff. Er hält die violette Leine in der Hand.
Die Aufforderung ist beiläufig und wirkt umso mehr so, da Jeff lässig die

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