Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)
bereit, mit dem Bus zu fahren, aber offenbar nicht bereit, seine Toilette
zu benutzen.
Es ist unmöglich, die Geräusche aus der Gästetoilette nicht zu hören,
das Plätschern, das vernehmliche Aufatmen und das Klappern der losen Klorolle. Um
sie zu kaschieren, räuspert sich Mr. Edwards und schnäuzt sich dann in ein weißes
Taschentuch, das er immer in der Hüfttasche hat.
»Ihr habt es schnell hergeschafft«, sagt er zu Jeff.
Sydney, die die ungünstige Akustik gleich zu Beginn ihres Aufenthalts
bei den Edwards’ bemerkt hat, benutzt die Gästetoilette nie.
Victoria kommt mit einem scheuen Lächeln heraus und geht durch das Haus
direkt zur Verandatür. Jeff folgt ihr.
»Mein Gott«, sagt sie über den Blick, den sie bestimmt tausendmal gesehen
hat.
Von der Diele aus mustern Wendy, Art und Mrs. Edwards Victorias schmalen
Rücken.
»Sie ist entzückend«, sagt Wendy.
»Ein Hingucker«, stimmt Art zu.
»Mark und ich hoffen, dass entweder dieses Wochenende oder das nächste…«,
teilt Mrs. Edwards vertraulich mit.
»Eine Bekanntgabe?«, erkundigt sich Art.
»Wirklich?«, fragt Julie überrascht.
Mrs. Edwards wirft einen recht beunruhigten Blick auf ihre Tochter,
die sie offenbar vergessen hatte. Sie legt einen Finger auf die Lippen.
Auch Sydney betrachtet die gut aussehende Frau an der Verandatür. Gibt
es etwas an Victoria, das man nicht mögen kann? An Vicki ,
genau gesagt, die nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem früher gefertigten Computerbild
hat, auch mit den vielen Änderungen nicht. Der Polizeizeichner wird gefeuert werden
müssen.
Mr. Edwards verkündet, dass das Mittagessen auf der Veranda serviert
wird. Er zieht sich in die Küche zurück, und Sydney folgt ihm bereitwillig. Mr. Edwards
kocht offenbar gern, er hat diese Kunst erst in seinem späteren Leben erlernt. Ihr
Vater hat damals in Troy niemals auch nur einen Fuß in die Küche gesetzt.
Als Sydney mit den Erdbeeren fertig ist, bietet sie an, den Tisch zu
decken, eine Aufgabe, die von ihr verlangt, dass sie Mengen von Geschirr, Gläsern
und Besteck zu dem runden Teaktisch in der Ecke der Veranda hinausschleppt. Eine
hinterlistige Fliegengittertür, die immer versucht, einem hinten an die Fesseln
zu gehen, muss bezwungen werden. Servietten müssen bei der steifen Brise gut verankert
werden.
Bei ihrem letzten Gang auf die Veranda sieht Sydney Ben, Victoria und
Jeff in den schweren Teaksesseln rund um den Tisch sitzen.
»Kann ich helfen?«, fragt Victoria.
»Danke, ich bin schon fertig«, antwortet Sydney.
»Dann setzen Sie sich zu uns«, meint Ben.
Jeff wirft Sydney einen Blick zu. Einladung oder Warnung? Der Moment
ist verflogen, ehe er ganz erfasst ist.
Sydney setzt sich, obwohl ihr das Zahlenverhältnis nicht gefällt. Jeff
und Victoria, Ben und Sydney. Sie wünscht, es würde wenigstens noch eine Person
herauskommen, ruhig auch Mrs. Edwards (vielleicht gerade Mrs. Edwards mit ihrem
Talent, Sydney zur Unsichtbarkeit zu verdammen), um die Relationen zu verändern.
Sydney ist es nicht entgangen, wie mit Victorias Ankunft die Konstellationen
wechseln. Wie Mrs. Edwards, die Hände auf der Brust zusammengedrückt und den Oberkörper
leicht nach hinten geneigt, Victoria vorstellt, als flösse das Blut entfernter königlicher
Verwandtschaft in den Adern der jungen Frau. Wie Mr. Edwards beiläufig den Arm
um Julies Schultern legt. Wie diskret Jeff ist, der es gar nicht nötig zu haben
scheint, ständig um seine Freundin herum zu sein oder die Berührung mit ihr zu suchen;
vielleicht haben sie sich schon auf der Heimfahrt vom Bus im Land Rover leidenschaftlich
geküsst. Wie Ben, mit der Cola light in der Hand, auf dem Treppenabsatz hockt und
die Szene aus luftiger Höhe beobachtet.
Wegen des gleißenden Sonnenlichts sind Sonnenbrillen beim Lunch auf der
Terrasse unerlässlich. Eine ganze Familie inkognito. Die Sandwiches, die Mr. Edwards
serviert, sind köstlich – Mozzarella, Tomaten, Basilikum und Olivenöl zwischen knusprigen
Brotscheiben. Mrs. Edwards starrt den Panino, den ihr Mann ihr hinstellt, an, als
wollte sie fragen: Und was soll ich damit anfangen? Zweifellos
würde sie am liebsten die Brotscheiben auseinandernehmen und nur den Käse herausschaben,
aber das geht nicht in Gegenwart von Gästen. Ganz sicher nicht im Beisein von Victoria.
Victoria wird nach Zahlen gefragt und nennt eine phantastische Summe.
Sie spricht mit Sicherheit über Baseball, akute myeloide Leukämie und den Konkurs
eines Restaurants in der St.
Weitere Kostenlose Bücher