Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)
Tennisstunden hatte, kann dem Spiel folgen.
Neben ihr hält Julie die Hand auf den Mund gedrückt.
»Was ist?«, fragt Sydney lächelnd.
»Mein Dad.«
Julies Vater hat kurze Tennisshorts an, die gut und gern vierzig Jahre
auf dem Buckel haben könnten – blassgrau von unzähligen Wäschen und so abgetragen,
dass sie beinahe durchsichtig sind. Seine weißen Beine sind erschütternd; er sieht
aus, als gehörte er einer anderen Rasse an als sein Partner und seine Gegner. Manchmal
drischt er auf den Ball ein, aber er serviert erstaunlich präzise, und das scheint
ihn zu freuen, auch wenn er auf Bens klasse Aufschlag! antwortet, reines Glück. Auf Bens Aufschläge reagiert
Jeff blitzschnell, seine Rückhand kommt in dem Bemühen, die sorgfältig platzierten
Bälle abzufangen, so schnell, dass das Auge kaum folgen kann.
»Julie«, ruft Jeff, als er seine Schwester bemerkt. Er hat die Hände
in die Hüften gestemmt und keucht heftig.
»Hallo, Leute.« Julie tritt näher.
»Willst du mitspielen?«, fragt Ben.
Julie zieht eine Schulter hoch.
»Wir machen nur einen Spaziergang«, erklärt Sydney, ebenfalls aus dem
Schatten der Bäume tretend. »Wer gewinnt denn?«
»Wir«, antwortet Jeff schnell, was zeigt, dass es bei dem Spiel um etwas
geht.
»Prima«, sagt Sydney, obwohl sie durcheinander ist. Sie weiß nicht einen
einzigen Grund, weshalb sie für Ben sein sollte und nicht für Jeff, auch wenn es
ihr eine Genugtuung wäre, Mr. Edwards als Sieger nach Hause kommen zu sehen.
»Wir schauen ein bisschen zu«, sagt sie. »Lassen Sie sich von uns nicht
stören.«
Aber die Spieler lassen sich doch von ihnen stören. Sydney bemerkt eine
Befangenheit, die vorher nicht da war: in Victorias übertriebener Schnute der Enttäuschung,
als sie einen Ball verfehlt; in einem dramatischen beidhändigen Rückhandschlag von
Ben; selbst in der unnatürlichen Gleichgültigkeit, mit der Jeff es hinnimmt, dass
ein spektakulärer Schmetterball von ihm im Netz landet. Einen Moment lang wünscht
sich Sydney, mit ihnen auf dem Platz zu sein, mit Jeff als Partner, spielend, lachend,
keuchend vor Anstrengung.
»Spielst du?«, fragt sie Julie.
»Ich habe mal Stunden genommen.«
»Möchtest du später spielen?«
Aber sie wissen beide, dass später spielen einen Beigeschmack des Nachträglichen
hätte. Das Spiel, das zählt, ist das jetzige, und daran haben sie keinen Anteil.
»Hast du genug?«, fragt Sydney nach einer Weile.
»Ja, ich glaube schon.«
»Hast du Lust, zu den Felsen hinauszugehen?«
»Schon.«
Sie lassen den Tennisplatz hinter sich. Sydney bemerkt zwei Jungen, vielleicht
siebzehn oder achtzehn, die ihnen in angeregtem Gespräch entgegenkommen. Beide tragen
Golftaschen über den Schultern. Der Größere schaut auf. »Julie«, sagt er überrascht.
»Hallo, Joe«, antwortet Julie und nickt. Sie verschränkt die Arme über
der Brust.
»Ich wusste gar nicht, dass du hier bist.« Joe, in weißem Golfhemd und
Khakihose, zieht seine Tasche höher. Sein dickes braunes Haar verlangt geradezu
danach, gezaust zu werden. »Nick kennst du ja?«
»Ja, ich glaube«, antwortet Julie. «Das ist Sydney«, fügt sie hinzu,
sich auf ihre gute Erziehung besinnend.
»Hallo.« Sydney nickt den Jungen zu.
Es folgt eine Pause der Verlegenheit. Keiner sagt etwas.
»Hm«, meint Joe schließlich. »Vielleicht sehen wir uns mal?«
»Vielleicht«, entgegnet Julie, offensichtlich um Worte verlegen.
Durch die Bäume hört Sydney einen Ruf von Jeff.
»Also dann…«, sagt Joe, der offensichtlich keine Lust hat zu gehen.
»Viel Glück beim Golf«, wünscht Sydney in abschließendem Ton.
Mit einem kleinen Winken gehen die Jungen weiter. Sydney braucht sich
nicht herumzudrehen, um zu wissen, dass Joe, der mit dem schönen braunen Haar, stehen
geblieben ist, um Julie von hinten zu betrachten. Etwas später lässt sie Julie einen
Schritt vorausgehen und versucht, das junge Mädchen mit den Augen eines Achtzehnjährigen
zu sehen.
Das Wort knackig kommt einem in den Sinn.
Erntereif .
Auf den Felsen übernimmt Sydney die Führung, obwohl sie weniger trittsicher
ist als Julie, die es besser könnte, wenn sie nicht so ängstlich wäre.
»Wir setzen uns auf den da.« Sydney weist zu einer flachen Felsplatte,
die so weit vom Ufer entfernt ist, dass sie sich sagen können, etwas geleistet zu
haben, aber nicht so weit draußen, dass die Gischt sie trifft.
Als Julie zögert, nimmt Sydney sie bei der Hand. Zusammen schaffen sie
es, obwohl sie ein
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