Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)
sie und kommt zu Sydney auf die Couch.
»Das sind Bilder, die ich mit meinem Apparat gemacht habe«, erklärt Sydney.
»Ich habe mir gedacht, ich besorge einen Rahmen und mache eine Collage. Du weißt,
was eine Collage ist?«
Julie nickt.
»Kannst du sie vielleicht für mich so auf dem Tisch gruppieren, dass
eine hübsche Komposition entsteht?«
Sydney lehnt sich auf der Couch zurück und überlässt Julie den Tisch.
Das junge Mädchen, das gewohnt ist, Sydneys Anweisungen zu befolgen, sieht die Fotografien
durch und beginnt, sie auszusortieren. Strandansichten. Bilder vom Haus. Fotografien
vom Hummerrestaurant und vom Krämerladen im Zentrum des Orts. Nach einiger Zeit
legt Julie sie auf dem Couchtisch aus. Sydney sieht mit wachsender Spannung zu.
Julie wählt neun Fotografien aus dem Stapel, einige im Hoch-, einige
im Querformat, und legt jedes Bild so, dass es einen Bezug zum vorher niedergelegten
hat. Sie zögert nicht und nimmt keine Fotografie wieder auf, wenn sie sie einmal
abgelegt hat. Nach dem letzten Bild lehnt sie sich zurück, mustert die Collage mit
zusammengekniffenen Augen und schiebt die Fotos etwas auseinander, sodass zwischen
ihnen etwa ein halber Zentimeter Abstand bleibt. Dann legt sie die Hände in den
Schoß. Fertig.
Vorgebeugt sieht Sydney sich das Werk an. Ein Bild des Hauses im Schatten,
das dunkelste Foto von allen, ist gleich rechts unterhalb der Mitte der Collage
angeordnet und dient als Klammer, die die anderen Bilder – nach Farbe, Stimmung
und tatsächlicher geografischer Nähe zum Haus gruppiert – zusammenhält. Erstaunlicher
ist die Wahl von nur neun Bildern, vier auf der einen, fünf auf der anderen Seite,
wobei das zusätzliche Foto auf der Linken den Ausgleich zum Gewicht des zentralen
dunklen Bildes herstellt. Julie war instinktiv klug genug, nicht alle Fotos zu verwenden.
Das Endergebnis ist eine Freude für das Auge. Mehr als eine Freude. Es ist perfekt.
Julie, für die die Mathematik der achten Klasse und die Grundregeln der Interpunktion
ein Buch mit sieben Siegeln sind, hat offensichtlich eine Begabung für künstlerische
Gestaltung.
»Du hast ein gutes Auge«, sagt Sydney.
Aber Julie scheint irritiert.
»Was ist denn?« fragt Sydney.
»Es sind überhaupt keine Menschen auf Ihren Bildern«, erklärt Julie.
»Wie wär’s mit einem Spaziergang?«, fragt Sydney nach einiger Zeit.
Julie sieht Sydney an wie durch einen Schleier, durch einen milchigen
Schleier, findet Sydney immer. »Okay«, sagt sie dann, immer nachgiebig nach der
Art eines jungen Mädchens, das das Leben größtenteils angenehm findet.
»Wir gehen durch den Ort. Schauen den anderen beim Tennis zu.« Sydney
beugt sich vor, um die Fotografien einzusammeln, und wünscht, sie müsste Julies
mühelose Komposition nicht zerstören. »Wir machen so was wieder mal«, sagt sie.
An einem Sonntagnachmittag wimmelt es im Dorf von vollgepackten Geländewagen
und zwei Gruppen von Leuten: die einen wehmütig, nur mit Widerstreben bereit, nach
ihrem zweiwöchigen Aufenthalt wieder abzufahren; die anderen fröhlich und ausgelassen
beim Einkauf des Proviants für einen lang ersehnten Urlaub. Julie und Sydney schlagen
einen Bogen um das Hummerrestaurant und den Krämerladen und gehen eine von Bäumen
beschattete schmale Straße hinunter. Selbst die schäbigste asbestgedeckte Hütte
und der ungepflegteste Rasen sind in der gnadenlosen Sonne verlockend.
Sydney hört den Aufschlag des Balls, bevor sie die Spieler sieht. Aufschlag
und Stöhnen. Sie versucht herauszubekommen, wer sich da so anstrengt. Mann oder
Frau? Jung oder alt?
Als Julie und Sydney die Plätze erreichen, halten sie in stillschweigendem
Einverständnis an, bevor sie für die anderen sichtbar werden. Sydney findet das
interessant und macht sich Gedanken über Julies Motive. Möchte sie nicht, dass man
sieht, wie gern sie möchte? Über noch etwas macht sie sich Gedanken: Hat sie selbst
die gleichen Motive?
In der Ferne kann sie Victoria erkennen, im pinkfarbenen Tennisoutfit
und in Laufschuhen, die neu zu sein scheinen. Jeff, neben ihr, der gleich aufschlagen
wird, hat große Schweißflecken unter den Achseln, Schweißbäche rinnen ihm das Gesicht
hinunter. Wie er seinen Schläger durchzieht, das ist eine Demonstration reiner Gewalt.
Der Ball schlägt gerade noch innerhalb der Linie auf, allem Anschein nach für Ben
nicht zu erreichen, aber der bringt ihn dennoch locker zurück. Sydney, die während
ihrer strikten WASP-Periode ein paar
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