Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)
aus ihrem Glas und stellt verblüfft
fest, dass auch sie Gin trinkt. Wer hat ihr den Drink gegeben? Sie kann sich nicht
erinnern. Hat sie vielleicht ein fremdes Glas genommen?
Aus Nervosität oder Ungeduld reißt Mr. Edwards versehentlich den Einband
eines großformatigen Buchs über Marinemalerei ein, als er die Verpackung öffnet.
Er sagt Oh und entschuldigt sich übermäßig. Das Buch ist
ein Geschenk seiner Frau, die zur Zimmerdecke hinaufstarrt. Mr. Edwards schiebt
die Ränder des Risses zusammen und sagt, er könne das von hinten wieder kleben.
Nein, besser noch, er wird die Ränder so miteinander verkleben, dass kein Mensch
sehen wird, dass der Einband einmal einen Riss hatte. Er fügt hinzu, dass dies ein
Buch ist, das er schon eine ganze Weile im Auge hatte ,
und gibt seiner Frau einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Sie lächelt, weil man
in Gesellschaft ist.
Julie schenkt ihrem Vater eine Zeichnung von Birnen, was nicht unbedingt
überrascht. Er bewundert das Werk entweder wirklich oder spielt überzeugend Theater.
»Ich lasse es rahmen«, sagt er.
Julie steht auf und umarmt ihren Vater. Sie drückt ihn fest, und Mr. Edwards
schließt einen Moment die Augen, unverkennbar bewegt.
Ben und Jeff haben ihrem Vater zusammen ein Navigationsgerät nach dem
neuestem Stand für die Whaler geschenkt. Ben fragt, wem er noch einmal einschenken
soll. Mrs. Edwards bemerkt die Schürze und bindet sie ab. Sie reckt den Hals, um
auf die Uhr zu sehen. Julie steht von ihrem Bodenkissen auf, um eine Krabbe in die
Cocktailsoße zu tunken. Die Vorspeisen sind alle in Reichweite nur des einen Sofas,
anders erlaubt es die Einrichtung nicht. Sydney hat unerklärlicherweise einen wahren
Bärenhunger, aber sie traut ihren Beinen nicht.
»Das ist nur eine Kleinigkeit«, sagt sie und überreicht Mr. Edwards
die braune Tüte.
Mrs. Edwards zieht kurz die Brauen zusammen, ein Kommentar entweder
zu der Verpackung oder zu Sydneys Anmaßung, ihrem Gatten etwas zu schenken. Mr. Edwards
hält die Fruchtgummis hoch.
»Oho, sie kennt meine Schwäche«, sagt er lachend.
Beim Essen gibt Ben bekannt, dass er ein großes Geschäft gemacht
hat: Er hat einen Block von sechs Eigentumswohnungen an eine Versicherungsgesellschaft
verkauft, die diese als Gästeunterkünfte für leitende Angestellte nutzen will. Ben
verkündet die Neuigkeit von dem glücklichen Geschäft genauso, vermutet Sydney, wie
der Junge früher verkündet hat, dass er es ins Footballteam der Schule geschafft
hat. Sydney würde interessieren, ob Jeff als Junge auch solche Bekanntgaben gemacht
hat. Ein A in Mathematik? Wahl zum Präsidenten des Debattierklubs?
Das Leben der Edwards spielt sich am Esstisch ab, so erlebt es jedenfalls
Sydney. Hier werden Siege gefeiert, politische Ansichten diskutiert, Lügen erzählt,
und gelegentlich wird auch die Wahrheit ans Licht gelassen.
Sydney schaut zu Jeff hinüber, und er blickt zu ihr hinauf, vielleicht
weil er die rasche Bewegung ihres Kopfes bemerkt hat. Er lächelt, was Sydney beinahe
in Panik versetzt. Hat jemand sein Lächeln beobachtet? Mrs. Edwards? Ben?
»Wir hatten gehofft, dass Victoria Beacon heute Abend mit uns am Tisch
sitzen würde«, sagt Mrs. Edwards.
Jeff, der gerade die Gabel zum Mund führt, hält in der Bewegung inne.
Ben, stets hilfsbereit, erklärt den Gästen, dass Jeff und Vicki einmal
zusammen waren und es jetzt nicht mehr sind. In seiner Stimme liegt ein Ton – nicht
direkt Sarkasmus –, der flüchtig Sydneys Interesse erregt.
»Wir kennen Vicki«, sagt der weibliche Gast, und Sydney erinnert sich,
dass Victoria seit Jahren regelmäßig hier ans Meer kommt. »So ein reizendes junges
Mädchen«, fügt die Frau hinzu.
Ben nickt und lächelt. Sydney fragt sich, ob er mit dem Gedanken spielt,
Vicki anzurufen.
Als die Sache mit Victoria Beacon erledigt ist, bemüht sich Mrs. Edwards,
dem Anlass angemessenes Format zu zeigen. Sie neckt ihren Mann mit seinem Alter
und eröffnet ihm, dass sie seinen Lieblingsnachtisch gemacht hat. Mr. Edwards errötet
vor Vorfreude.
Sydney denkt daran, diesen Moment seltener Gutgelauntheit von Mrs. Edwards
auszunutzen und ihr vorzuschlagen, sie demnächst einmal auf einen ihrer Ausflüge
zum vielgepriesenen Emporia zu begleiten. Aber Mrs. Edwards ist nicht dumm. Sie
wird die Geste mühelos durchschauen.
Der Kuchen, den Mrs. Edwards hereinträgt, ist schief, was vermuten lässt,
dass der Herd nicht gerade steht. Sie hat versucht, die Schräge mit schnittfester
Ganache zu
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