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Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)

Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht am Strand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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oberen Stockwerk. Sydney schreibt
ihren Namen auf eine Geburtstagskarte und schiebt sie in eine kleine braune Papiertüte,
in die sie das Geburtstagsgeschenk für Mr. Edwards verpackt hat: mehrere Tüten
rote Gummy Lobster, Fruchtgummis, die so süß sind, dass sie davon Zahnweh bekommt,
wenn sie sie isst, aber sie weiß, dass der Mann sie liebt. Es ist nur ein kleines
Geschenk, aber es ist wenigstens etwas.
    Mit dem Daumennagel zieht sie die Linie nach, die Jeff mit dem Finger
auf ihren Oberschenkel gezeichnet hat.
    Sie wird ein Bad nehmen und sich die Fingernägel machen. Sie wird einen
langen Voilerock und eine schwarze Seidenbluse anziehen. Sie hat sich die Sachen
für eine besondere Gelegenheit aufgehoben – sie sind genau das Richtige für eine
Geburtstagsfeier.
    Aber Jeff wird wissen, warum sie sich so sorgfältig angezogen hat. Ben
auch. Und Mrs. Edwards auch.
    Schritte auf der Veranda, die im ganzen Haus zu spüren sind. Metall
auf Metall, als eine Bratpfanne auf eine Herdplatte knallt. Sydney kann nicht erkennen,
ob das Geräusch Wut ausdrückt. Mrs. Edwards macht heute Abend Jakobsmuscheln auf
kreolische Art, das Lieblingsgericht ihres Mannes. Morgen sollte ein zweites Fest
stattfinden, nicht zu Ehren des Hausherrn, sondern zur Feier einer Verlobung. Was
wird nun aus diesem Fest werden?
    Auf dem Weg nach unten hört Sydney Stimmen an der Haustür, fremde Stimmen,
und ist froh darüber. Außenstehende sind Puffer. Zuerst Bens Begrüßung der Neuankömmlinge
(wann ist er angekommen?); danach die herzliche Stimme des Hausherrn: Das wäre wirklich nicht nötig gewesen . Aus der Küche das entschieden
aggressive Brummen des Mixers. Mrs. Edwards bereitet einen Kuchen aus Kahlúa-Likör
und halbbitteren Schokoladentropfen.
    Sydney stellt ihre braune Papiertüte neben einem Stuhl ab. Sie achtet
auf ihre Haltung. Jeff öffnet die Fliegengittertür und durchquert auf seinem Weg
nach oben, zur Dusche, das Wohnzimmer. Er ist spät dran und beeilt sich. So, wie
er aussieht, hat er gerade eine intensive Begegnung mit dem Wetter gehabt – das
Gesicht gerötet, das Haar feucht am Kopf anliegend, die Füße noch nass. Vor Sydney
bleibt er stehen und sagt in ganz normalem Ton, als wäre er nur ein Sohn des Hauses,
der einer Freundin ein Kompliment macht: »Sie sehen gut aus.« Er schwenkt um Sydney
herum und rennt, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf.
    Es gibt keine Regeln, begreift Sydney. Keine Regeln und möglicherweise
viele Überraschungen.
    Mrs. Edwards hat den Mund zu einem Strich zusammengekniffen, der sich
kaum bewegt. Sie hat immer noch die Schürze um, ein alarmierender Hinweis auf ihre
Gemütsverfassung. Die Gäste, alte Freunde, merken zweifellos, dass etwas nicht in
Ordnung ist, aber sie scheinen nur gelinde irritiert von der Kälte. Vielleicht kommt
es im Freundeskreis der Edwards häufiger vor, dass Ehepaare auf Festen nicht miteinander
sprechen.
    Da bei diesem Wetter die Drinks nicht auf der Veranda serviert werden
können, verteilen sich die Edwards und ihre Gäste auf den weißen Sofas, die nur
zwei Sitzpositionen erlauben – entweder man lässt sich zurücksinken, oder man kauert
in vorgebeugter Haltung. An diesem Abend sitzen alle vorgebeugt, selbst Ben, der
gewöhnlich demonstrativ die Bequemlichkeit sucht. Sydney hockt auf der Kante eines
Holzstuhls, an diesem besonderen Abend ohne Recht auf den geringsten Komfort. Sie
kann die Namen der Gäste nicht behalten. Julie sitzt mit hochgezogenen Knien auf
einem Bodenkissen und trinkt eine Cola light. Hin und wieder lächelt sie, schaut
dann scheu zu Sydney hinauf.
    Eine Künstlerin im Zustand der Verzückung, denkt Sydney. In einer Art
Ekstase.
    In einem dunkelblau gestreiften Polohemd und Khakishorts kommt Jeff schließlich
wieder herunter. Er macht sich einen Gin Tonic und setzt sich neben seine Mutter,
bewusste Beschwichtigungsstrategie.
    Ben, der Sydney über den Rand seines Glases hinweg betrachtet, scheint
bemerkt zu haben, dass sie Jeff absichtlich nicht ansieht. Aber wer kann sagen,
was Ben bemerkt und was nicht? Sein Blick ist vielleicht nur ein Blick der Bewunderung,
denn Sydney hat sich heute Abend mehr bemüht als sonst. Der Rock. Die Bluse. Das
in einem lockeren Knoten zurückgenommene Haar.
    Julie ruft: »Mach deine Geschenke auf!«
    »Oh, das wäre wirklich nicht nötig gewesen«, sagt Mr. Edwards wieder.
    Sydney ist dankbar für die Ablenkung und atmet zum ersten Mal an diesem
Abend richtig durch. Sie nimmt einen langen Zug

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