Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)
Krankenhaus,
meine ich.«
Jeff wendet den Blick zur Seite. »Gut aussehend?«, fragt er nach einer
kleinen Pause.
»Ja«, antwortet Sydney aufrichtig.
Jeff scheint über die Antwort nachzudenken. »Hast du ein Bild?«
»Ja. In meinem Zimmer. Möchtest du es sehen?«
Jeff überlegt. »Ich weiß nicht«, sagt er. »Vielleicht lieber nicht.«
Er streicht mit einem Finger über Sydneys Arm.
»Deine Mutter mag mich nicht«, stellt sie fest.
»Ich weiß.«
»Sie wird glauben, dass ich an deiner Trennung von Victoria schuld bin.«
»Bist du ja auch.« Jeff legt seine Hand an ihre Hüfte und küsst sie.
»Es war ihr immer zuwider, dass ich Halbjüdin bin. Jetzt, wo ich mit
ihrem Sohn zusammen bin, wird sie es kaum ertragen können.«
Jeff schweigt.
»Das kümmert dich nicht?«, fragt Sydney.
Er küsst sie auf die Schulter, und Sydney denkt an die Fotografie im
Schlafzimmer der Edwards.
»Es kümmert mich, aber mehr in der Theorie als in der Praxis. Ich würde
gern glauben, dass meine Mutter nicht so ist, aber ich kann es nun einmal nicht
ändern. Vor Jahren haben sie und ich all die Auseinandersetzungen miteinander ausgetragen,
die es zwischen Mutter und Sohn geben kann. Und nach einiger Zeit wurde mir klar,
dass ich sie niemals ändern werde.«
»Ich sollte wahrscheinlich ausziehen.«
»Wenn du gehst, komme ich dir nach. Und wo landen wir dann? In meiner
schrecklichen Bude in Cambridge?« Er nimmt sie in den Arm und zieht sie an sich.
»Ich werde deine schreckliche Bude in Cambridge bestimmt wunderbar finden.«
»Sei da mal nicht so sicher.«
Später hilft Jeff ihr auf. Fern seiner Wärme empfindet sie die Kälte
als durchdringend. Er zieht den Reißverschluss ihrer Regenjacke bis zu ihrem Kinn
hoch. Dann nimmt er sie bei der Hand und führt sie auf den Sand hinaus. Mit bloßen
Füßen, die Schuhe in der Hand, machen sie sich auf den Weg zum Haus.
Überrascht bemerkt Sydney, als sie näher kommen, dass noch ein Licht
brennt. Ihre Lippen fühlen sich wie gefroren an. Sie kann sie kaum bewegen, dabei
möchte sie Jeff gern noch etwas sagen, was ihm die Bedeutung dieser gemeinsamen
Nacht am Strand nahebringen wird. Aber ihre Gedanken sind beinahe so schwerfällig
wie ihre Lippen.
Im Haus zögert Jeff. Das Licht kommt aus der Küche. Den Flur hinunterblickend,
kann Sydney Ben erkennen, der am Tisch sitzt. Er ist von Gin auf Bourbon umgestiegen,
neben ihm steht eine zur Hälfte geleerte Flasche Maker’s Mark.
Jeff und Sydney treten in die Küche, kneifen, selbst von dem einen Licht
geblendet, die Augen zusammen. Es ist, als wäre man ertappt worden und zur Strafpredigt
angetreten. Zum Verhör. Ben sieht sie beide schweigend an. Sydney merkt ihm an,
dass er schwer betrunken ist. Man sieht es an seinem Gesicht, der Erschlaffung der
Züge.
»Julie ist weg«, sagt er.
JULIE HAT EINEN IN GERADER, RUNDER SCHRIFT abgefassten Brief hinterlassen. Kaum fähig, seine Erregung zu beherrschen, das gut
aussehende Gesicht entstellt, schiebt Ben das aus einem Heft herausgerissene Blatt
Papier mit heftiger Bewegung über den Tisch zu Jeff, der sich das Wasser von der
Stirn und aus den Augen wischen muss, um den Brief lesen zu können.
Tut mir leid, aber mir geht’s gut. Ich hab Ich mache eine kleine Reise mit jemand den ihr nicht Es ist
nur ein kleiner Ausflug Urlaub für ein paar Tage. Ich ruf euch bald an. Macht
euch keine Sorgen und mir geht’s gut ALLES OKAY. (Danke, Sidney.)
»Sie ist weg? Abgehauen?«
Jeff, der blass geworden ist, scheint aller Energie, die vorher in solcher
Überfülle vorhanden war, beraubt.
»Anscheinend.«
»Wo ist Dad? Wo ist Mama?«
»Bei der Polizei.«
»Ohne den Brief?«
»Die Polizei war schon hier.«
Sydney fallen zwei Henkelbecher mit Löffeln auf, ein Milchkännchen und
die Zuckerdose. Von den Edwards nimmt niemand Milch oder Zucker zum Kaffee.
»Sie sind gekommen und gleich wieder gegangen.« Ben schnippt mit den
Fingern. »Julie ist achtzehn, und allem Anschein nach ist sie aus freien Stücken
weggegangen. Ich hatte den Eindruck, dass sie die Sache nicht im Geringsten interessiert.
Sie sagten, wir sollen bis morgen warten, sie würde wahrscheinlich anrufen.«
»Hat Dad ihnen erklärt, dass Julie –?«
»– dass sie ein bisschen langsam ist? Ja, Jeff, er hat ihnen erklärt,
dass Julie langsam ist.«
Bens Zorn macht sich also in Sarkasmus Luft, denkt Sydney, sodass nicht
so leicht herauszubekommen ist, was die Edwards zur Polizei gesagt haben und was
nicht.
Jeff
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