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Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)

Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht am Strand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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einem gemeinsamen Kissen, was eine elende Nacht versprach.
    »Ich mag deinen Vater«, sagte Jeff Sydney ins Ohr.
    »Ich finde, wir haben beide Glück gehabt mit unseren Vätern.«
    »Deine Mutter ist aber auch nett«, fügte er hinzu.
    »Ich weiß nicht, ob ich ihr schon verziehen habe, dass sie mich damals
mitgenommen hat.«
    Jeff küsste ihr Ohr. Sein Körper hinter ihr war lang und kühl. In einem
anderen Bett, unter anderen Bedingungen hätte sie ihn jetzt gespürt, aber an diesem
Abend blieb er keusch wie ein kleiner Junge.
    Nicht lange nachdem sie sämtliche Eltern informiert hatten, saßen Jeff
und Sydney in einem indischen Restaurant und warteten auf Ivers. Das Essen war billig
und die Schlange an der Take-out-Theke lang. Die Resopaltische und die Schalenstühle
dienten vor allem als Ablagen für Berge von Mänteln, Schals und Rucksäcken. Das
Fenster neben Sydney, neonerleuchtet, dampfte auf der Innenseite und erzeugte einen
chartreusegrünen Dunst.
    »Wir müssen es Ben sagen«, meinte Sydney.
    Jeff, der seitlich zum Tisch saß, klopfte in gleichmäßigem Rhythmus mit
dem Messer auf das Resopal, während sie auf ihr Essen warteten. Er hatte einen dunkelblauen
Pullover über einem ungebügelten Hemd an. Sein Haar trug er jetzt etwas länger,
es lockte sich hinten leicht über seinem Kragen, ihr gefiel es. Sie hatte gerade
jetzt große Lust, das Haar in seinem Nacken zu berühren.
    Sie schob die Beine unter dem Tisch schräg, um sie übereinanderschlagen
zu können. Sie trug Jeans und einen schwarzen Pullover, eine Art Februaruniform.
Ihr Haar, zum Pferdeschwanz zusammengebunden, war elektrisch aufgeladen von der
Kälte, und in der plötzlichen Wärme des Lokals begann ihr die Nase zu laufen. Draußen
waren es höchstens sechs bis sieben Grad.
    »Dad hat es ihm bestimmt schon erzählt«, entgegnete Jeff.
    »Dann sollten wir ihn einladen«, schlug Sydney vor. Sie suchte in ihrem
Rucksack nach einem Papiertaschentuch.
    »Sollten wir?« , spottete Jeff. »Sollten wir?«
    Sydney schnäuzte sich und wartete. Sie hasste diese Angewohnheit Jeffs.
    »Er würde doch sowieso nicht kommen«, sagte Jeff in sachlicherem Ton.
    »Ist es für dich wirklich so wichtig, wer angefangen hat?«, fragte sie.
    Jeff stützte die Ellbogen auf den Tisch. »Wenn ich mich nicht irre, warst
du dabei.«
    »Er war betrunken.«
    »Es war ihm ernst.«
    »Der Meinung bin ich nicht.«
    »Hat er angerufen?«, fragte Jeff. »Hat er angerufen und sich entschuldigt,
als ich nicht zu Hause war?«
    Jeff lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, damit die Bedienung ihm sein
Chicken Tikka hinstellen konnte. Vor Sydney landete ein Teller mit gebratenem Blumenkohl.
Über ihren Kopf hinweg entdeckte Jeff Ivers an der Tür. »Ivers ist da«, sagte er.
    »Wir reden zu Hause weiter, ja?«, meinte Sydney.
    »Tun wir das?« , fragte Jeff.
    Am folgenden Mittwoch hatte Jeff am Institut eine Besprechung, die bis
in die Abendstunden dauern würde. Sydney fuhr mit einem Taxi ins Bankenviertel und
wartete im Schnee vor einem Gebäude in der State Street. Als Ben herauskam, ging
sie auf ihn zu.
    Er blieb still stehen, als traute er seinen Augen nicht. Sein Mund war
starr, sein Blick ebenso.
    »Sydney«, sagte er schließlich.
    »Hallo, Ben.«
    »Das ist doch kein Zufall.«
    »Nein.«
    »Es ist ein Hinterhalt.«
    »So was Ähnliches.«
    Ben nickte langsam. Er klappte den Kragen seines dunkelblauen Mantels
gegen den Schnee hoch. »Dann kommen Sie«, sagte er.
    Schweigend kämpften sie sich durch das Schneetreiben bis zur nächsten
Ecke. Dort blieb Ben stehen, zog die Tür zu einer Bar auf und ließ Sydney vor sich
eintreten.
    Das Lokal war bereits gut gefüllt. Männer in Anzug und Krawatte, Wollschals
lose um den Hals, bestellten einen Drink nach dem anderen. Als wäre bei einem Schneesturm
alles erlaubt.
    Ben und Sydney wurden zu einem kleinen Tisch geführt, unter dem der Boden
nass war. Ben legte seinen Mantel ab – es war warm im Raum – und bestellte einen
Martini. Sydney bat um ein Glas Wasser, sie war plötzlich unglaublich durstig.
    »Sie trinken nicht. Sie wollen einen klaren Kopf behalten. Folglich sind
Sie hergekommen, um mir etwas zu sagen«, vermutete Ben.
    Ben hatte den ersten Schock überwunden. Er sah fit aus. Braungebrannt.
    »Um Sie etwas zu fragen«, verbesserte sie.
    Ben lockerte seinen Schlips und musterte sie, als berechnete er den Verkaufspreis
eines neuen Lofts im alten Leather District. Sein forschender Blick machte Sydney
so nervös, dass sie

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