Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)
wünschte, sie hätte doch einen Drink bestellt. Sie versuchte,
seine Musterung zu erwidern, aber sie konnte seinem Blick nicht standhalten.
Ben sah fit aus, aber um die Augen herum wirkte er älter. In seinem Blick
war eine Härte, die ihr im Sommer nicht aufgefallen war.
»Ich glaube, ich bin schuld –«, begann sie.
»Halt.«
Eingeschüchtert brach Sydney ab, fuhr dann fort: »Ganz gleich, was passiert
ist«, sagte sie, »es kann doch unmöglich ein ausreichender Grund sein, um Sie von
Ihrem Bruder zu trennen.«
»Bei allem Respekt«, versetzte Ben und wartete einen Moment, als die
Bedienung seinen Martini und Sydneys Glas Wasser brachte, »ich glaube nicht, dass
Sie auch nur die geringste Ahnung davon haben, was zwischen Brüdern vorgeht.«
Das stimmte. Sie hatte keine Ahnung.
»Sie heiraten«, sagte er nach einer Weile. »Meinen Glückwunsch.« Er hob
sein Glas, als wollte er ihr zuprosten. Sydney reagierte nicht.
»Ich höre, Sie sind schon zu ihm in die Wohnung gezogen«, fügte Ben hinzu.
»Ich möchte gern, dass Sie zur Hochzeit kommen«, sagte Sydney, die Gelegenheit
nutzend.
»Deshalb sind Sie also hier.«
Sydney schwieg. War sie deshalb hier?
»Und Jeff?«, fragte er.
Sydney trank einen Schluck Wasser. »Für Jeff kann ich nicht sprechen.«
»Nein, das dachte ich mir«, sagte Ben. »Dann werden Sie leider ohne mich
vor den Traualtar treten müssen.«
»Was ist eigentlich los?« Sie legte die Hände flach auf den Tisch und
neigte sich ihm entgegen. »Ich verstehe das nicht – weder von Ihrem Standpunkt aus
noch von Jeffs. Ist Ihnen denn Ihr Vater egal? Der Schmerz, den Sie beide ihm bereiten?«
»Mir nicht«, erklärte Ben und wandte sich ab.
»Warum vergessen Sie dann das Ganze nicht einfach?«
Ben schwieg. »Das kann ich nicht«, sagte er dann.
»Warum nicht?«, fragte Sydney.
»Ich will nicht.«
Ben richtete sich auf und ließ sich an die Rückenlehne seines Stuhls
sinken. Sie saßen beide ohne Bewegung im Lärm der Leute. Es war ein Fehler, hierhergekommen
zu sein, dachte Sydney. Jeff wäre wütend, wenn er davon wüsste. Aber Sydney würde
ihm nichts sagen. Dies war ihre Mission, und sie brauchte ihm nichts davon zu sagen,
dass sie gescheitert war.
»Wir fahren nach Afrika«, bemerkte sie.
»Wirklich«, sagte Ben.
»Jeff muss wegen seiner Recherchen hin.«
»Und wohin genau?«
»Nairobi. Ich war da noch nie.«
»Nicht mal mit Ihrem Flieger?« Ben lächelte über dem Rand seines Glases.
Er machte eine kleine Handbewegung, um den Barmann wissen zu lassen,
dass er noch einen Drink haben wollte. Sydney konnte sich vorstellen, dass Ben hier
Stammgast war, abends nach der Arbeit auf zwei Martinis hier vorbeikam, den zweiten
vielleicht mit einer Frau trank, auf die sein Auge gefallen war. Flüchtig dachte
Sydney über Bens Liebesleben nach. Sie war überrascht, zu erkennen, wie wenig sie
von ihm wusste.
»Ich habe nichts dagegen, Sie zur Schwägerin zu bekommen«, sagte er.
Sydney schlang sich ihren Schal um den Hals und stand auf. Ben beugte
sich schnell vor und hielt sie an der Hand fest.
»Er wird Sie niemals so sehr lieben wie Sie ihn«, sagte er.
Sydney zog hastig die Hand vor der bösen Prophezeiung zurück. Sie erinnerte
sich an den Abend, als sie Surfen gewesen waren, an diese schlüpfrige Berührung,
wie von einer Schlange.
»DEINE MUTTER IST DA«, sagt Jeff,
während er das Badetuch auf dem Sand ausbreitet, damit sie, wie Sydney vorgeschlagen
hat, noch eine Minute hier sitzen können, bevor sie ins Haus gehen. »Meine Mutter
hat ihr bereits eine Aufgabe gegeben, sie schreibt Tischkarten.«
»Ja, sie hatte immer eine schöne Schrift. Ist mein Vater auch schon angekommen?«
»Ich glaube nicht. Aber ich war spazieren.«
»Um noch einmal über alles nachzudenken?«, erkundigt sie sich mit einem
leichten Puff mit dem Ellbogen.
»Ich war mit Tullus«, sagt er, was keine Antwort ist. Er stochert mit
einem Stöckchen im Sand wie ein kleiner Junge. »Ivers wird mir das ewig vorhalten«,
sagt er. »Er versäumt zwei Yankee-Spiele – heute Abend und morgen.«
»Und ihr habt nicht mal einen Fernseher.«
»Wahrscheinlich wird er durchdrehen.«
»Wir machen ihn betrunken«, schlägt Sydney vor.
»Guter Gedanke.« Er sieht sie an. Sein Blick verweilt einen Moment länger
als nötig.
»Jeff?«
»Und Sahir«, bemerkt er, den Blick abwendend. »Sahir hasst den Strand.«
Er schüttelt lachend den Kopf.
»Was ist?«, fragt Sydney.
»Wie, was ist?«
»Du denkst doch
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