Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)
an etwas.«
»Morgen bin ich schon Ehemann.«
Sydney streckt sich auf die Ellbogen gestützt aus. Aus dem Haus ist das
helle Lachen einer Frau zu hören.
Der Bräutigam wird bei dieser Hochzeit keinen Trauzeugen haben, dafür
wird die strahlende Julie beider Trauzeugin sein. Selbst Julie trägt jetzt einen
Neoprenanzug, Sydney war ganz überrascht, als sie sie das erste Mal darin sah. Sydney,
die eines Abends bei Cocktails schlichte Verzückung irrtümlich für künstlerische
Verzückung hielt.
»Ich habe mir gedacht, nach dem Essen gehen wir hier raus und machen
ein großes Freudenfeuer«, sagt Jeff. »Und lassen den Alkohol fließen. Na ja, wir trinken natürlich nicht so viel. Wir vergraben Sahirs Schuhe
im Sand.«
Selbst ohne Sonne strahlt vom Wasser ein unangenehm gleißendes Licht
zurück. Sydney kneift die Augen zusammen. »Vor einem Jahr hätte ich mir das alles
nicht vorstellen können«, sagt sie. »Ich habe Julie Nachhilfe in Mathe und Englisch
gegeben. Dich und Ben hatte ich noch nicht einmal kennengelernt.«
Manchmal rutscht ihr der Name heraus, wenn sie es am wenigsten will.
Gerade heute hätte sie Ben bewusst nicht erwähnt.
Jeff schweigt wie immer bei der Nennung des Namens. Sie werden nichts
weiter über seinen Bruder sagen.
»Scheußliches Wetter«, bemerkt Sydney.
»Vielleicht klart es noch auf.«
»Jeff, was ist los? Du wirkst so – ich weiß nicht…«
Er dreht sich herum und küsst sie auf die nackte Schulter. Er streicht
mit den Fingern über die Innenseite ihres Oberschenkels. »Ich bin froh, wenn wir
erst im Flugzeug sitzen.«
Jeff wollte die Hochzeitsreise nach Ostafrika machen, aber Sydney meinte,
Afrika wäre zu stark mit Arbeit verbunden. Dort würde er garantiert die ganze Zeit
nur Leute ausquetschen, auch wenn er es selbst gar nicht merkte. Nein, sie würden
nach Paris reisen, wo sie nie gewesen war, nicht einmal mit Andrew. Dort könne Jeff
in dem kleinen Hotel im Marais, das sie ausgesucht hatte, sie nach Herzenslust ausquetschen.
»Ich liebe dich«, sagt er mit einigem Nachdruck. Er sagt die Worte oft,
manchmal für sie, manchmal für sich selbst – in staunender Erkenntnis oder als Ruf
zu den Waffen. Sydney kann an seinem Ton erkennen, dass es heute mehr ein Ruf zu
den Waffen ist.
Sie lässt, als antworte sie auf seine Berührung ihres Oberschenkels,
ihre Finger über die hellen Härchen seines Beins gleiten. Verwundert hat sie im
Lauf des Jahres festgestellt, wie symbolkräftig erste Bilder sind, Talismane, zu
denen man immer wieder zurückkehrt, selbst während schon wieder neue Bilder entstehen.
Für sie waren es immer die gebräunten Beine, die verwaschene Badehose, seine Augen.
Jeff hat sich zur Hochzeit die Haare schneiden lassen. Sydney hätte sie
lieber lang gehabt. Aber er hat sie nicht gefragt.
»Um welche Zeit müssen wir morgen am Flughafen sein?«
»Um acht«, antwortet Sydney. »Die Maschine fliegt um zehn.«
In dem Jahr, seit sie zusammen sind, hat sich eine Arbeitsteilung eingebürgert.
Sydney organisiert die Reisen.
»Wann fahren wir dann hier los? Halb sieben?«
Sie werden dem Empfang am frühen Abend den Rücken kehren.
»Wir machen es kurz und schmerzlos«, sagt sie.
»Ich kann es kaum erwarten«, sagt er.
»Sydney!«, ruft ihre Mutter und breitet die Arme aus.
Sydney, an einen so überschwänglichen Empfang nicht gewöhnt, verlangsamt
ihren Schritt. Entweder möchte ihre Mutter ihren Exmann ärgern, der offenbar ebenfalls
vorzeitig angekommen ist, oder sie möchte mit WASP-Getue bei Anna Edwards Eindruck
schinden. Sydney lässt sich umarmen, schmiegt sich in den Stoff des weißen Hosenanzugs
mit dem Talbotstuch, der für das Probeessen am Abend das Richtige ist, aber nicht
für die drei Stunden, die sie alle bis dahin noch aushalten müssen. Sydney bemerkt
die Coach-Handtasche. Die Seidentäschchen mit den Frauen in den violetten Kabrioletts
als Symbol für die große Freiheit gibt es schon lange nicht mehr. Das Haar ihrer
Mutter ist strähnig geworden von der Luftfeuchtigkeit, und der Hosenanzug fühlt
sich klamm an – schweißfeucht den ganzen Rücken hinunter. Ihre Mutter hält sie auf
Armeslänge von sich ab.
»Wenn ich mir vorstelle…«, sagt sie.
Was vorstellt?, fragt sich Sydney. Dass ihre Tochter schon wieder heiratet?
Dass sie ihr Leben nicht als kinderlose alte Jungfer beschließen wird? Dass sie,
in den Augen ihrer Mutter, durch ihre Heirat gesellschaftlich aufsteigt? Vielleicht
hat das Sommerhaus ihre Mutter auf eine
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