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Die Nacht Der Jaegerin

Die Nacht Der Jaegerin

Titel: Die Nacht Der Jaegerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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Schritte von ihr weg, streifte die Stiefel ab, streckte die Hände aus und hatte schnell die Kante des Refektoriumstischs ertastet.
    «Und wie schnell?», sagte Dexter.
    Lol blieb stehen.
    «Wie schnell stirbt sie, was glaubst du?»
    «Ich habe gesagt, sie stirbt, wenn wir keinen Arzt rufen.»
    «Halbe Stunde?»
    «Kent Asprey, so heißt er, oder? Der Arzt hier im Dorf.»
    «Halt’s Maul!»
    Lol sagte nichts mehr. Alice hatte versucht, es ihm zu sagen. Sie hatte es ihm gesagt. Sie war nicht auf der Suche nach Trost über den Friedhof gegangen und dort zusammengebrochen – sie hatte den Schlaganfall zu Hause gehabt, und Dexter hatte sie gefunden, als er vom Imbiss gekommen war, ihr Mantel und Stiefel angezogen, sie durch den Obstgarten auf den Friedhof geschleppt und sie dort zum Sterben zurückgelassen. Er hatte darauf vertraut, dass bis lange nach dem Hellwerden kein Mensch auf den Friedhof gehen würde, und dann wäre sie längst tot gewesen.
    Rationaler konnte man so etwas kaum planen.
    Die Banalität des Bösen. Schmutzig und armselig war dieses dörfliche Böse und zugleich so unendlich und eiskalt wie der Nachthimmel.
    «Wo ist die Taschenlampe, Kumpel?»
    «Hab ich auf dem Friedhof gelassen. Ich konnte nicht gleichzeitig Alice und die Taschenlampe tragen.»
    «Du Versager. Wo sind hier Kerzen und Streichhölzer?»
    «Ich weiß nicht, ob überhaupt welche da sind.»
    «Ach was, die kleine Schlampe qualmt doch wie ein Schlot.
Wo sind sie?
»
    Lol wohnte nicht im Pfarrhaus. Er wusste nicht, wo Kerzen und Streichhölzer waren.
    «Hol den Arzt, Dexter.»
    Lol machte ein hellgraues Rechteck aus, wahrscheinlich ein Küchenfenster.
    Dexter sagte: «Sie kommt
zurück
, Kumpel. Zurück auf den Friedhof.»
    O nein. Ein Zurück gab es jetzt nicht mehr.
    «Du kannst uns nicht beide auf den Friedhof schleppen, Dexter.»
    «Für dich wird’s ja auch die Mülldeponie, Kumpel. Alice werden sie finden – natürliche Todesursache, kein Problem. Aber dich werden sie
niemals
finden. Du bist dann einfach einer von den vielen Vermisstenfällen. Hab einen Freund bei der Deponie. Kein Problem. Kommst hinten auf den Transporter. Pisseinfach. Geht gar nicht anders, verstehst du?»
    «Weil du Darrin umgebracht hast?»
    Schweigen. Lol rührte sich nicht.
    «Hab ich nicht», sagte Dexter.
    «Ja, ich weiß, es war ein Laster, stimmt’s? Genau wie der Laster, der Roland totgefahren hat.»
    Alice wimmerte leise. Lol spürte etwas wie eine Klaue durch die Luft fahren: Dexter ruderte mit den Armen, um ihn zu fassen zu bekommen. Er nahm Dexter jetzt als Geruchsmischung aus Bier, Schweiß und Benzin wahr. Lol schob sich hinter den Tisch.
    «Was hat dir Roland getan? Los, sag schon, was? Erzähl es Alice, das schuldest du ihr.»
    «Du Arschloch.» Dexter bewegte sich langsam um den Tisch herum auf Lol zu. Seine Lederjacke knatschte leise.
    «Wollte er das mit den Autos petzen?» Lol schob sich auf die andere Seite des Tischs. «Die ganzen Autos, die ihr geklaut habt, du und Darrin?»
    «Ich hab nie im Leben Autos geklaut.»
    «Nein, klar, Darrin hat sie geklaut, weil du mit ihnen rumfahren wolltest. Darrin war älter als du, aber er war auch kleiner und dünner.» Lol glitt zwischen Tisch und Spüle. «Darrin hat alles gemacht, was sein Cousin von ihm verlangt hat, weil er sich nämlich in die Hosen geschissen hat vor Angst.»
    In seinem Kopf rasten die Gedanken.
Hier an der Wand hängt der magnetische Messerhalter mit den Küchenmessern. Nach Größe geordnet. Buttermesser, Brotmesser, Tranchiermesser ...
Während er sich um die Tischkante drückte, dachte er:
Wie kann ich ein Messer benutzen, o Gott.
    «Da hast du ganz schön Schwein gehabt, Dexter, mit diesem Unfall in Allensmore, oder?»
    Dexter stieß einen unartikulierten Schrei aus, schob mit einem kreischenden Geräusch den Tisch über die Fliesen und rammte ihn Lol in den Bauch, sodass er zwischen Tisch und Spüle eingeklemmt war.
    «Tja, Schwein haben ist immer gut, könntest du jetzt auch brauchen, was?», sagte Dexter.
    Dann zerrte er den Tisch zur Seite. Wo blieb eigentlich sein Asthma, wenn es einem mal nützlich sein konnte?
    Lol spürte den Luftzug, als Dexters Faust knapp sein Gesicht verfehlte. Er duckte sich weg – allerdings in die falsche Richtung, denn der nächste Hieb traf seine linke Kopfseite und schleuderte ihm die Brille von der Nase. Er rammte seine Faust dahin, wo er Dexters Magen vermutete und traf auf Leder und einen Metallreißverschluss.
    Verdammte

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