Die Nacht der Schakale
in rasender Fahrt auf sein Opfer.«
Cassidy ließ sich das Band noch einmal vorspielen, aber es brachte in so wenig weiter wie die zoologische Würdigung des Raubvogels. Die Nachricht war interessant und lächerlich, eine seltsame Mischung, halb Karl May, halb James Bond, reichlich abenteuerlich und völlig undurchsichtig.
»Lassen wir einmal offen, ob der Mann ein trojanisches Pferd ist oder wirklich mit uns ein Geschäft machen will«, sagte der CIA-Experte. »In beiden Fällen steht fest, daß der große Unbekannte die Möglichkeit hat, aus der DDR auszureisen, nicht nur ins neutrale Ausland, sondern sogar in die Bundesrepublik. Das wiederum läßt den Rückschluß zu, daß er bei uns nicht als Agent geführt wird und das Vertrauen von General Lupus in besonderem Maße genießt. Wie wir wissen, tut es im Osten Vertrauen allein nicht«, fuhr Cassidy mit einem anzüglichen Lächeln fort. »Der Bursche müßte den Stasi-Leuten auch noch andere Sicherheiten zu bieten haben.«
»Sie sehen das richtig, Mr. Cassidy«, entgegnete Ritter, der in Pullach genauso als exzellenter Fachmann bekannt war wie auf der anderen Seite der sächselnde Lipsky mit dem roten Punkt an der pikanten Stelle. »Bei Funktionären mit Diplomatenpaß nehmen wir immer an, daß sie nicht nur wegen eines Sektfrühstücks in den Westen reisen, können ihnen aber das Gegenteil meistens nicht beweisen. Damit kommen prima vista als Sperber – ich spreche jetzt rein theoretisch – General Lupus selbst, Konopka und Brosam in Frage. Diese drei können jederzeit die zugemauerte Grenze passieren«, stellte der Auswertungsspezialist fest. »Selbstverständlich kann sich auch ein anderer Spitzenmann eine Ausreisegenehmigung besorgen.«
»Die Frage ist nur, ob er in den Osten zurückkehren oder im Westen bleiben will«, erwidert Cassidy mit einem süffisanten Lächeln. »Und was soll der Hinweis auf die BRD-Mission in Berlin bedeuten?«
»Sieht nach einer dritten Morgengabe des Sperbers aus. Wir haben seit langem den Verdacht, daß irgendwie aus dem Auswärtigen Amt Geheiminformationen hinausgetragen werden, wir haben Nachforschungen angestellt und auf die Botschaften im Ausland ausgedehnt, selbstverständlich auch auf unsere Vertretung in Ostberlin. In keinem Fall hat sich auch nur die Andeutung eines Verdachts ergeben.«
Cassidy war zu höflich, um festzustellen, daß sich ein Verrat auf höchster Ebene zehn Jahre lang im Pullacher Camp hingezogen hatte und daß der schließlich entlarvte Mann von der Gegenspionage, ein Günstling des alternden Generals, trotz seiner DDR-Geburtsstadt durch alle Sicherheitsprüfungen mit Bravour hindurch gekommen war. Felfe, so hieß der Maulwurf, einer der Ehemaligen aus dem Reichssicherheitshauptamt, der kaum weniger schädlich gewesen war als Guillaume, hatte bis dahin Pullachs Führungsrolle in der Ost-Spionage mit einem Schlag zerstört – die CIA war seinerzeit zu der Rechnung gekommen, daß fast drei Viertel alles ihr vorliegenden Wissens um den östlichen Gegner aus BND-Quelle stammte.
Was seinen guten Ruf betrifft, bleibt freilich kein Geheimdienst der Welt lange Jungfrau.
Auch jetzt, an einem Schönwettertag wie aus dem Bilderbuch, hingen wieder Wolken über dem Camp Nikolaus: Ein ehemaliger Topmann, der nach seinem Ausscheiden mit Hilfe bajuwarischer Vetternwirtschaft zum obersten Verfassungshüter im weiß-blauen Land aufgerückt war, hatte nach seinem Abschied vom Camp BND-Geheimakten (teils peinlichen Inhalts) hinter seinem Kamin versteckt und diversen Zeitungen als ›Spionage-Roman‹ angeboten. Die Sache war geplatzt und führte zum Unangenehmsten, was einem geheimen Nachrichtendienst drohen kann: Schlagzeilen in der Presse, Untersuchungsausschuß, Einleitung eines Strafverfahrens. Bevor der Fall ganz überschaubar war – vermutlich würde er es nie werden –, fragt sich der Mann auf der Straße bereits, welche berufliche, moralische und geistige Qualität ein hochdotierter Spitzenbeamter des Untergrunds eigentlich haben mußte.
Was erst jetzt bekannt wurde, hatte sich schon lange vorher ereignet, stammte noch aus der Zeit, da General Gehlen, für den der Zweite Weltkrieg nie zu Ende gegangen war, von der Elendsalm heruntergestiegen und mit 50 Stahlkoffern seines für Hitler gehorteten Materials übergangslos in die Dienste der Besatzungsmacht getreten war. Sein Opportunismus war der Nationalsozialismus; später mußten viele dem Mann recht geben, er, zu seinen Lebzeiten überschätzt und
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