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Die Nacht der Schakale

Die Nacht der Schakale

Titel: Die Nacht der Schakale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Möglichkeitsrechnung ohne Wahrscheinlichkeitsgehalt. Ein Mann wie Gelbrich zum Beispiel müßte sich im Neonglanz des Westens verlaufen wie ein Eunuch im Kontakthof.
    »Gelbrich wohnt Lipsky schräg gegenüber auf der entstalinisierten Karl-Marx-Allee«, fuhr Ritter fort. »Die beiden duzen sich und kommen auch sonst sehr gut miteinander aus.«
    Er drückte wieder auf den Knopf, und mit Phimoses kam mehr Farbe in Ritters Kopfsalat, ein roter Tupfer an einer pikanten Stelle.
    »Lipsky fällt etwas aus dem Rahmen. Er ist kein Altkommunist wie die anderen; er stieß erst auf Umwegen in die marxistisch-leninistische Richtung. Er war Kriegsgefangener in Russland, einer der wenigen Überlebenden von Stalingrad. Der Sachse schloß sich als einer der ersten dem neugegründeten Nationalkomitee Freies Deutschland an, das bekanntlich die Plennys zu Kommunisten umerziehen sollte. Aus dieser Zeit wissen wir noch recht gut über Lipsky Bescheid. Im Westen leben einige Männer, die mit ihm zusammen waren und sich längst aus dieser Richtung gelöst haben. Sie schildern ihn als ruhigen, besonnenen Typ, der von Politik, von jeder Politik, die Schnauze voll gehabt hatte und nur mitmachte, weil er am Verhungern war und überleben wollte. Na ja, das hat er dann ja auch geschafft. Er kam später als überzeugter Marxist aus der Gefangenschaft zurück, blieb in Berlin hängen und fing hier ziemlich tief unten an.«
    Das Telefon klingelte; Steve entschuldigte sich und ging in den Nebenraum. »Für Sie, Peter!« rief er den BND-Mann ins Nebenzimmer, und wir legten eine Zigarettenpause ein.
    »Der Mann, der Forbach morgen begleiten wird, heißt Novotny«, sagte Ritter. »Weitere Informationen umgehend.«
    Er kam wieder zu Lipsky zurück. »Phimoses hat einen interessanten Familien-Background: Seine Frau Hedwig ist die Tochter eines ZK-Mitglieds. Die Ehe ist miserabel, hat aber anfänglich seine Karriere enorm gefördert. Später brauchte er keine Protektion mehr; aus Lipsky ist ein erstklassiger EDV-Fachmann geworden. Heute gilt Phimoses als einer der besten Stasi-Leute überhaupt.« Ritter lächelte pikiert. »Er ist übrigens mein direkter Gegenspieler. Lipsky hat einen fünfzehnjährigen Sohn und eine Tochter, die seine Frau in die Ehe mitbrachte …«
    »Wie krank macht diese Phimose?« unterbrach ich ihn.
    »Es ist eher lächerlich als tragisch«, antwortete Ritter. »Eigentlich eine Kinderkrankheit, die es schwierig, wenn nicht unmöglich macht, die Vorhaut über die Eichel des Maskulinums zurückzuschieben. Die Verengung kann angeboren sein, aber auch auf einer Verklebung beruhen, die sich dann meistens wieder von selbst gibt. Der Arzt wird zunächst versuchen, die Verengung zu dehnen. Wenn das nicht gelingt, muß er schneiden. Auch eine verhältnismäßig harmlos Operation«, fuhr Pullachs Auswertungschef mit seinen medizinischen Ausführungen fort, »aber bei dem Genossen Lipsky scheint etwas schiefgelaufen zu sein. Wir wissen nicht, wann und bei wem der Eingriff gemacht wurde. Vermutlich ist eine Nachoperation fällig. Offensichtlich versucht Lipsky durch Auftragen eines Medikaments diese hinauszuziehen – es ist eine rote Salbe, die sich mit der Zeit durch alles frißt.«
    Normalerweise mochte man ein so geartetes Krankheitsbild als Kuriosum abtun oder als ein Ungemach, das nur den Betroffenen etwas anging, aber bei dem fleißigen Mann aus Leipzig, der nicht sächseln wollte, färbten diese roten Flecken gewissermaßen das ganze Persönlichkeitsbild. Der Minderwertigkeitskomplex förderte eine Überempfindlichkeit. Das war nicht nur medizinisch gesehen, sondern auch geheimdienstlich betrachtet, nicht uninteressant.
    »Noch Fragen zu Lipsky?«
    »Danke, Peter«, erwiderte Steve.
    »Dann kommen wir zum Genossen Laqueur«, entgegnete der Ritter ohne Furcht und Tadel.
    Während er auf den Knopf drückte, wurde mir klar, daß der Mann aus der BND-Führungsspitze seine Kandidaten, ohne es auszusprechen, in der Reihenfolge des Verdachts geordnet hatte, so wie man am Laufsteg die teuersten Kreationen am Schluß vorführt.
    »Er gehört zur Herrenriege in der Proletariergarde«, sagte er süffisant, als der abgesessene Reitersmann im Bild erschien. Laqueur war gerade ins Ministerium für Auswärtiges als Sündenbock für die drei Verratsfälle strafversetzt worden. »Das sagt uns leider noch gar nichts«, kommentierte Ritter, »außer, daß es Laqueur künftig leichter fallen dürfte, in den Westen zu kommen.«
    »Außerdem läßt sich

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