Die Nacht der Schakale
DDR-Territorium verfolgen würde, um zu klären, ob er ein Kamikaze-Pilot war oder ein Mann, der auf zwei Schultern trug und westliche wie östliche Aufträge gleichzeitig ausführte.
Die Transitstrecke ist der schnellste und riskanteste Weg, einen Menschen aus dem östlichen Herrschaftsbereich herauszuschmuggeln. Wer immer es versucht, spielt mit Freiheit und Leben, aber wenn man mit dem DDR-Sicherheitsdienst zusammenarbeiten würde, wäre es natürlich ein Kinderspiel – es ließ sich nur vor Ort klären, welche Möglichkeit galt.
Um fünf Uhr waren alle Vorbereitungen abgeschlossen. Es blieben mir noch ein paar Stunden Schlaf, bis ich gegen neun Uhr Renate, meine Leihfrau, abholte. Sie trug einen verwaschenen Pulli, Slacks und Sandalen mit mittelhohen Absätzen. Ich wußte inzwischen, daß sie in Schießen und in Karate ausgebildet und mit allen Tricks und Finessen des Untergrunds vertraut war. Wie man sich jedoch älter und häßlicher macht, das mußte sie noch lernen.
Ich hielt ihr das vor, und sie erwiderte lachend: »Aber Henry, weißt du denn nicht, daß auch junge und hübsche Frauen von ihren Männern betrogen werden? Kennst du dein Geschlecht so wenig?«
»Einverstanden«, erwiderte ich. »Aber werde mir deswegen nicht zur Feministin.«
Im Grunde war es für meinen Auftrag gleichgültig, daß sie hübscher und jünger war, als ich es mir vorgestellt hatte. Entscheidend blieb, daß man mir Renate als Ehefrau abnahm. Wir fuhren los und kamen auf der Autobahn zügig voran, erreichten etwa eine halbe Stunde vor der Zeit die DDR-Grenzübergangsstelle Hirschberg, machten ein appetitloses Picknick auf dem Parkplatz und warteten dabei auf Forbach und seinen Beifahrer Novotny, einen zweiten TRASCO-Mann.
Schon von weitem sahen wir den grünen Opel.
Jetzt setzte ich mich ans Steuer, reihte mich in die Kolonne ein, fuhr langsam – passierte das Schild VERGESSEN SIE NICHT: SIE KOMMEN IN EINEN ANDEREN TEIL DEUTSCHLANDS und rollte auf die DDR-Grenzbeamten zu.
Ich reichte einem Unteroffizier der Grenzpolizei durch das offene Wagenfenster Papiere und Zulassung. Er kontrollierte überpedantisch die polizeilichen Kennzeichen vorne und hinten, forderte mich auf, meine Sonnenbrille abzunehmen, verglich ziemlich lange das Paßfoto mit meinem Konterfei. Er zeigte wie die meisten Vopos kleinäugiges Mißtrauen und scharfkantige Höflichkeit und wirkte dabei steif und uncharmant; es lag vielleicht an seinem groben Uniformtuch. Überhaupt bin ich kein Freund von Uniformen, ganz egal, ob sie ein Liftboy, Zirkusreiter oder Nato-General trägt.
Der Grepo-Unteroffizier verschwand mit unseren Ausweispapieren, die er zur Durchleuchtung in den Computer eingab.
Renate sah ihm nach. Funken des Spotts lichteten in ihren braunen Augen. »Ordnung muß sein«, sagte sie. »Ohne Ordnung kein Faschismus. Und kein Kommunismus.«
»Wir haben noch eine lange Fahrt vor uns«, wies ich sie zurecht. »Spar die bitte deine Witze auf, bis wir auf freier Strecke sind.«
Der Uniformierte kam zurück, reichte mir die Papiere durchs Wagenfenster und wünschte uns mit einem Kopfnicken leicht sächselnd: »Gute Fahrt!«
Daß wir relativ schnell und reibungslos die Grenzabfertigung hinter uns gebracht hatten, verdankten wir dem deutsch-deutschen Transitabkommen, das allerdings durch Fluchthelferfirmen wie die TRASCO gefährdet wurde. Früher hatte man oft jedes Gepäckstück einzeln aus der Kofferraum zur Zollabfertigung bringen und dort endlos lange warten müssen. Die Verbesserung und Erleichterung waren offensichtlich, aber dieser günstige Eindruck hielt nicht lange vor. Nach nur ein paar hundert Metern Fahrt kam der Todesstreifen mit den Schußschneisen, der Drahtzaun mit den Tötungsmaschinen und den Wachtürmen in Sicht. Solange solcherlei Horroreinrichtungen bestehen, werden Desperados immer wieder versuchen, durch Höchsteinsatz den Höchstprofit zu erraffen. Das Risiko ist nicht minder hoch als der Gewinn, und so betrachtet, kann dieses üble Geschäft trotz allem noch als ein ehrliches Geschäft hingehen.
Ich sah im Rückspiegel, daß Dresslers Leute ebenfalls ohne Komplikationen über die Grenze gekommen waren. Wir hatten doch darauf verzichtet, in Forbachs Wagen einen Sender einzubauen, der uns durch Signaltöne ständig seinen Standort mitteilen würde. Die Gefahr, daß die Volkspolizei die Pieptöne mithörte, war zu groß.
Ich ließ mich von dem grünen Opel überholen, wartete, bis sich zwei, drei Fahrzeuge
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