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Die Nacht der Schakale

Die Nacht der Schakale

Titel: Die Nacht der Schakale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Bettrand der Königin sitzend, mit ihrer britischen Majestät zehn Plauderminuten verbracht hatte, einen kurzen Waffenstillstand.
    Er endete schnell.
    Hedwig Lipsky knallte ihrem Mann den Muckefuck auf den Tisch; er wußte, daß sie, sobald er das Haus verlassen hatte, die Malzbrühe weggießen und sich einen Bohnenkaffee kochen würde, in dem der Löffel steckenblieb – niemals für ihn, obwohl er, wie die meisten Sachsen, das aromatische Gebräu besonders schätzte.
    Als nächstes Familienmitglied erschien Stieftochter Lina, mit der seine Frau – neben der Protektion – ihre Mitgift aufgerundet hatte und die genauso spitzköpfig und spitzzüngig war wie ihre Mutter und bald auch ihr üppiges Doppelkinn haben würde; sie setzte sich ohne ein Wort der Begrüßung an den Tisch.
    »Guten Morgen, sagt man«, fuhr der Stiefvater sie an.
    Aber Lina fürchtete ihn nicht; sie wußte, daß sie ihn sofort zum Schweigen bringen konnte, wenn sie den roten Strafpunkt an seiner Hose betrachtete. Lipsky wirkte dann wie der arme Teufel am Pfahl, bei dem man das Herz mit einem roten Fleck markiert hat. Immer wieder stand Lipsky vor dem Peloton; es nutzte nichts, daß er in seiner Schreibtischschublade einen Bericht über problemlose Phimoseoperationen verwahrte, die in der Mayo-Klinik in Rochester gemacht wurden.
    Rochester lag in den USA und für ihn damit auf dem Mond.
    Als letztes Familienmitglied kam Jürgen. Der fünfzehnjährige trug das leuchtend blaue FdJ-Hemd, und das bedeutete, daß er heute wieder nicht zur Schule ging, sondern marschierte, agitierte, demonstrierte oder Spalier stand, obwohl er in allen wichtigen Unterrichtsfächern durchhing. Lipsky machte sich nichts vor, sein leiblicher Sohn war unbegabt und stinkfaul, eifrig nur dann, wenn er Politparolen ausspuckte, wie übrigens auch die anderen Familienmitglieder, mit denen man nicht diskutieren konnte, weil sie immer im Sprechchor antworteten.
    »Was ist denn heute schon wieder los, Jürgen?« fragte Lipsky.
    »Heute proben wir nur, aber morgen kommen doch die Genossen aus der Volksrepublik Kuba«, erwiderte der Junge kauend. »Weißt du das denn nicht?«
    »Nein«, antwortete der Stasi-Spitzenmann. »Ich weiß gar nichts. Ich bin genauso dumm wie du.« Er zeigte die krummen Lippen, die ihm das Pfeifenrauchen eingebracht hatte. Natürlich rauchte er nur im Büro, zu Hause durfte er es nicht, weshalb ihn Hedwig verdächtigte, die zahlreichen Überstunden nur wegen des Suchtgiftes zu machen: »Nur nicht so nichtsnutzig und faul!«
    »Nicht so fleißig wie du, damals in Stalingrad, als du auf unsere sowjetischen Brüder geschossen hast«, erwiderte der Junge pampig. »Wundere dich nicht über unsere sozialistische Wachsamkeit«, setzte er mit penetranter Betonung hinzu. »Wir kämpfen gegen den Faschismus, nicht für ihn.«
    »Du niederträchtiger Lausebengel!« fuhr ihn Lipsky an und sprang so abrupt hoch, daß der Stuhl umfiel.
    Einen Moment lang sah es aus, als wollte er auf Jürgen einschlagen.
    Dann hörte er Gelbrichs dreimaliges Hupsignal auf der Straße. Er war froh, einen geordneten Rückzug antreten zu könne. Wieder einmal war er erlöst von der schweinischen Morgenandacht.
    Während Lipsky auf der Treppe des Hauses mit der abbröckelnden Zuckerbäckerstil-Fassade nach unten ging, überlegte er, wie sein Leben heute wohl aussähe, wäre er nicht 1944 als Plenny Dystrophiker gewesen – was seine Schicksalsgefährten damals ›Strohficker‹ genannt hatten. Er hatte an dieser durch Ernährungsmangel bedingten Krankheit gelitten, bei der sich der Körper selbst kannibalisiert; einer Krankheit, die zum Tod führt, sofern man den Patienten nicht rechtzeitig durch Kalorienzufuhr wieder saniert.
    Lipsky war damals Kommunist geworden, weil er überleben wollte; es erschien ihm auch heute noch das überzeugendste Motiv zu sein. Schließlich hatten auch ein Urenkel Bismarcks und ein Nachfahre des preußischen Reitergenerals Seydlitz so gehandelt. Selbst Generalfeldmarschall Paulus war zu einer wohlwollenden Beurteilung des Nationalkomitees Freies Deutschland gekommen, freilich erst, nachdem er die 6. Armee in den Tod geführt hatte, worauf sich – im Umkehr der Bibel – Paulus in Saulus verwandelte.
    Als Lipsky, die Karl-Marx-Allee erreichend, auf Gelbrichs Dienstwagen zuging, war er nicht mehr der Familienschlappschwanz mit dem roten Kainszeichen an der pikanten Stelle, sondern der erfolgreiche, gewichtige, übergewichtige Untergrundspezialist, von

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