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Die Nacht der Schakale

Die Nacht der Schakale

Titel: Die Nacht der Schakale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Durchnacht bevorstand.
    »Frischluft kann wirklich nicht schaden«, entschied der TRASCO-Chef. Er stand auf unsicheren Beinen. Vielleicht aber war er auch beschwipst, weil für ihn der Himmel voller Dollars hing.
    Er hakte sich bei mir unter.
    »Wollen wir nicht doch ein Taxi nehmen«, schlug ich vor.
    »Nein«, beharrte er. »Ist doch nicht weit.«
    Ich schleppte Dressler mit. Es war schon sehr spät. Die Straßen waren fast unbelebt. In langsamer Fahrt überholte uns ein schwarzer Mercedes, dessen beide Insassen uns musterten, finstere Burschen, aber in der Nacht sind bekanntlich alle Katzen grau. Sie hielten vermutlich nach Bordschwalben Ausschau und waren enttäuscht, nur Nachtwandler zu sehen, männliche.
    Bevor wir den Kudamm erreichten, hatte der Wagen gewendet und kam uns entgegen. Die Lichter richteten sich direkt auf uns.
    Ganz plötzlich wurden sie aufgeblendet.
    Gleichzeitig drückte der Fahrer das Gaspedal durch.
    »Achtung!« schrie ich Dressler zu und warf mich beiseite, gerade weit genug, um der Stoßstange zu entgehen.
    Der Züricher reagierte zu langsam.
    Vielleicht lag es am Alkohol, oder er hatte eine zu lange Schrecksekunde.
    Mauro Dressler wurde vom Kühler des Wagens aufgespießt und mit voller Wucht gegen eine Häuserwand geschmettert.
    Der Wagen fuhr sofort weiter.
    Ich rappelte mich hoch, sah noch die Schlußlichter, registrierte die polizeiliche Kennziffer, wiewohl ich wußte, daß ich es mir sparen konnte, da sie sicher falsch war.
    Ich beugte mich über Dressler: hoffnungslos. Beim Aufprall war sein Schädel zerschmettert worden. Er mußte auf der Stelle getötet worden sein.
    Ich konnte nichts mehr für ihn tun.
    Und ich mußte weg, und zwar schleunigst, bevor die ersten Passanten auftauchten und die Polizei alarmierten und diese meine Personalien feststellte.
    Für Brian Singer wäre die Vernehmung als Augenzeuge genauso peinlich wie für Heinrich Schmidt, wiewohl weder der eine noch der andere an dem Mordanschlag beteiligt gewesen war.

16
    Der Genosse Lipsky war ein Frühaufsteher; wie fast immer erhob er sich schon kurz nach sechs Uhr, verließ das ungute Familienlager, ging ins Bad und dann gleich in die Küche, wo er sofort das Radio einschaltete. Er war nicht erpicht auf die Nachrichten (als der Leiter der Stasi-Datenbank nutzte er ganz andere Informationsquellen), aber häufig kam es bereits am Frühstückstisch zum Krach mit seinen Familienangehörigen, und die lautstarken, häßlichen Auseinandersetzungen brauchten die Hausbewohner – ausnahmslos Privilegierte des SED-Regime – nicht mit anhören. Es wurde ohnedies längst überall getuschelt.
    An dem vielgerühmten Diensteifer des Mannes, der in Personalunion vorübergehend gleich zwei HVA-Abteilungen leitete – Polit-Spionage und Dokumentation –, war der häusliche Unfriede nicht unbeteiligt, denn Lipsky fühlte sich im Büro weit heimischer als zu Hause. Er lebte in einer lustlosen Ehe mit einer reizlosen Frau; sie war mager, hektisch und hatte doch ein ausgeprägtes Doppelkinn und einen auffallenden Bauchansatz. Aber wenn man in das Zetka einheiratet, hat man weder Fürsorge, Zärtlichkeit, Liebe noch Sex zu erwarten, sondern nur Karriere. Und die hatte Ludwig Lipsky aus Leipzig, genannt Phimoses, geschafft, wenngleich er den Aufschwung in die höchste Etage – nach einer Spezialausbildung am Moskauer Elektronengehirn – seiner eigenen Tüchtigkeit verdankte.
    Hedwig war endlich aufgestanden. An der lauten Art, wie sie durch die Wohnung rumpelte, konnte ihr Mann bereits ihre schlechte Morgenlaune erkennen. Die Proletenprinzessin, wie er sie insgeheim nannte, war die einzige Tochter eines inzwischen verstorbenen Parteipontentaten; sie konnte es sich leisten, mit wirren Haaren, unwirschen Bewegungen, mit geflicktem, angeschmutztem Morgenrock den ganzen Vormittag herumzulaufen und dabei ständig zu räsonieren.
    Der Mann aus Leipzig sah auf die Uhr und wünschte sich, eine halbe Stunde älter zu sein – dabei würde er in der nächsten Woche schon sechzig.
    »Kein Auge habe ich zugetan wegen deiner verfluchten Schnarcherei«, stänkerte Hedwig ihn an; es war ihr Morgengruß. »Aber das stört dich ja nicht. Das macht dir gar nichts aus. Du bist rücksichtslos und …«
    »Halt die Klappe«, unterbrach er sie derb, stand auf und drehte das Radio lauter.
    Radio DDR brachte Nachrichten.
    Einen Moment lang erzwang ein Bescheuerter, der nächtens ungehindert in Londons Buckinghampalast eingedrungen war und, am

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