Die Nacht der Schakale
General Lupus bei einer der letzten launigen Ansprachen als der ›Genosse Immerda‹ etikettiert.
»Morgen, Willi«, begrüßte er seinen bulligen Vertrauten aus der Normannenstraße. »Siehst auch nicht gerade ausgeruht aus.«
»Hab' die ganze Nacht durchgearbeitet«, erwiderte Gelbrich.
»Was Neues?«
»Und ob – aber ich nehme an, daß der Genosse General heute Vormittag noch im kleinsten Kreis die Sache aufs Tapet bringen wird.«
Lipsky nickte; er machte keinen Versuch zu erfahren, was geschehen war. Er nahm an, daß es um Konopka ging, wobei vielleicht Gelbrich nicht wußte, wie intensiv er sich mit diesem feinen Pinkel in letzter Zeit befaßt hatte. Unauffällig und unaufdringlich war Lipsky immer zur Stelle, stets ein wenig im Hintergrund, aber nur einen halben Schritt hinter dem Untergrundstrategen, und wo immer geschossen wurde, hatte er dafür die Munition geliefert.
Gelbrich betrachtete seinen Kumpel. »Na, sehr fröhlich siehst du auch nicht aus, Ludwig.«
»Der übliche Ärger mit der Alten.«
»Komisch«, erinnerte sich Gelbrich. »Dein Schwiegervater hatte auch immer schon das Problem mit deiner Schwiegermutter.« Er gab sich keine Mühe, seine Schadenfreude zu verhehlen. »Es scheint in der Familie zu liegen.«
»Scheißfamilie«, brummelte Lipsky.
»Meine ist in Ordnung«, sagte Gelbrich. »Manchmal wundere ich mich selbst darüber.«
Sie erreichten die Normannenstraße, stiegen aus und betraten die Spionagefabrik. Sie wurden sofort von der Unruhe im ehemaligen Finanzamtsgebäude umspült. Ausgerechnet in Lichtenberg, in nächster Umgebung, hatten soeben konfessionelle Jugendliche für ›Aus Schwertern Pflugscharen‹ demonstriert und dadurch den Autoritätsverfall auch im ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaat deutlich werden lassen. Erst war man gegen die Mitglieder der Friedensbewegung aufgetreten. Als es aber im Ausland ein mieses Echo fand und sich herausstellte, daß es Unsinn war, im Westen zu loben, was man im Osten verbot, hatte sich das Regime dazu durchgerungen, die unerwünschten Demonstrationen halbwegs zu dulden. Nunmehr zeigte sich deutlich, daß diese Haltung auch keine Lösung des Problems war.
Noch mehr erschütterte aber heute das Gerücht die Normannenstraße, der Genosse Konopka sei, seiner angegriffenen Gesundheit wegen, ganz plötzlich in die Sowjetunion abgereist, um sich einer Heilkur zu unterziehen – so krank hatten die Stasi-Mitarbeiter den ›volkseigenen Casanova‹ nicht in Erinnerung, zumal er gestern morgen noch wütend gewesen war, weil die einzelnen Abteilungen das Spielmaterial für die Sperber-Aktion noch immer nicht zusammengestellt hatten.
Unerschüttert von Gerüchten nahm Lipsky in seinem Dienstbereich die Arbeit auf. Als Leiter der Abteilung Dokumentation verwaltete er immenses Wissen, bis weit in den persönlichen Bereich hinein, Fakten über Freund wie Feind, zusammengetragen von professionellen Agenten und ehrenamtlichen Mitarbeitern. Was immer die Hausvertrauensleute, die Betriebsobleute, die Späher in den Massenorganisationen, die Kundschafter aus der Diplomaten- und der Kulturszene wie Kraut und Rüben nach Lichtenberg meldeten, wurde in seiner Abteilung sortiert, registriert und ausgewertet.
Lipsky fand den Eilauftrag vor, zu untersuchen, ob KLABAUTERMANN in der Hannoverschen Straße nach der Ypsilon-Episode noch zu halten wären. Der emsige Sachse wußte natürlich, daß sich hinter dem Codenamen die Legationsrätin Dr. Cynthia Pahl verbarg, die seit einem Jahr für den DDR-Staatssicherheitsdienst arbeitete.
Phimoses erschien persönlich im Computerraum; er warf alle anderen hinaus, nannte sein Kennwort und rief dann auf dem Bildschirm die KLABAUTERMANN-Informationen ab. Er hielt sich nicht lange mit den unpersönlichen Daten auf, die sicher längst gründlich überprüft worden waren; er fragte die Nachrichten ab, die von der Diplomatin aus dem feindlichen Lager weitergegeben worden waren. Saubere Arbeit. Nicht eine Meldung war durch spätere Ereignisse in Frage gestellt worden, und alle hatte diese Topinformantin ein wenig früher durchgegeben, als sie allgemein publik wurden.
Vor kurzem ein vierwöchentlicher AA-Lehrgang in Bonn. Ein V-Mann aus der Bundeshauptstadt hatte die Teilnehmerliste beschafft; sie enthielt auch den Namen Dr. Cynthia Pfahl.
Blendende Beurteilung durch den Genossen Sabotka, ihren Führungsoffizier. Dann ein Vermerk: ›Fährt gelegentlich nach Westberlin.‹ Es störte Lipsky nicht. Alle
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