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Die Nacht der Uebergaenge

Die Nacht der Uebergaenge

Titel: Die Nacht der Uebergaenge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: May R. Tanner
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gerechnet hatte. Seine Komplimente waren höchst schmeichelhaft gewesen
und vertrieben zumindest gerade jetzt alle Probleme, die sie hatte. Der erste
Fall. Das war doch schon mal etwas. Ein guter Anfang.
     
    „Ein
toller Junge!“ Chryses hatte von Romy unbemerkt die Straßenseite gewechselt und
stand nun plötzlich hinter ihr. Beladen mit einem Papptablett, das mit drei
vollen Kaffeebechern bestückt war, die sie ihm hoffentlich nicht gleich wieder
aus der Hand schlagen würde. Außerdem hatte er sich Schokoladenkuchen einpacken
lassen. Das Einzige, von dem er wirklich wusste, dass sie es gern mochte.
    Romy
wirbelte auf dem Absatz zu ihm herum. Das Lächeln auf ihren süßen Lippen
gefror. Selbstverständlich war sie nach gestern Abend nicht begeistert, ihn zu
sehen und sie glaubte ihm sicher kein Wort, als er den nach Hause eilenden
Jungen als toll bezeichnete. Ihr gegenüber hatte er nicht den Eindruck erweckt,
Kinder zu mögen. Sie dachte ja sogar, er mochte sie ebenfalls nicht. Was
überhaupt nicht stimmte.
Chryses beeilte sich damit, die Sonnenbrille abzusetzen, die er zum Schutz
gegen das grelle Licht des Tages aufgesetzt hatte. Er war hier, um sich zu
entschuldigen, nicht um sich schon wieder zum Idioten zu machen. Seine Nacht
war genauso beschissen und schlaflos gewesen wie Romys, was man ihm allerdings
nicht unbedingt ansah. Er steckte die Brille in die Brusttasche der abgewetzten
braunen Lederjacke, die er über einem schwarzen, enganliegenden T-Shirt trug.
Sein Motorrad parkte nicht unweit der Detektei. Den Kaffee hatte er lieber zu
Fuß geholt wie beim letzten Mal.
    „Darf ich
rein kommen oder hast du viel zu tun?“
Sogar er konnte überaus zurückhaltend und höflich klingen, wenn er denn wollte.
Wahrscheinlich trieb ihn sein schlechtes Gewissen zur Vernunft. Das war sehr
löblich, konnte aber, wenn er das Blitzen in Romanas grünen Augen richtig
deutete, auch nach hinten losgehen.
    Immerhin
trat sie zur Seite und ließ ihn in ihr Büro. Das war ein Anfang. Romy setzte
sich wieder hinter ihren Schreibtisch und bedeutete ihm, auf dem Besucherstuhl
Platz zu nehmen, der unter seinen Kriegerausmaßen leicht zu ächzen begann.
Chryses blieb ganz vorne auf der Kante sitzen, nur für den Fall, dass die
Stuhlbeine unter seinem Gewicht weg zu knicken drohten. So viel zu einem guten
Start. Für einen kleinen Jungen mochte es bequem sein, für ihn dagegen
entwickelte sich diese Sparversion von Möbel zu einer echten Bewährungsprobe.
Seine Ungemütlichkeit war etwas, das Romy keineswegs entging. Chryses sparte
sich jeglichen bissigen Kommentar. Strafe hatte er in jedem Fall verdient, und
es musste nicht immer gleich etwas mit scharfen Waffen zu tun haben.
    Einen
Moment lang herrschte angespanntes Schweigen zwischen ihnen. Chryses nahm sich
einen Becher Kaffee, ohne daraus zu trinken. Er hatte drei gekauft, da sich
Bekky, sollte sie sich während seines Besuchs blicken lassen, nicht schon
wieder übergangen fühlen sollte.
Es lag an ihm, das erste Wort zu sprechen, trotzdem fiel es ihm hier in ihrer
unmittelbaren Gegenwart ungleich schwerer als vor dem Badezimmerspiegel in
seinem Apartment. Der große Chryses hatte seine Entschuldigungsansprache geübt.
Anders ging es nicht. Er entschuldigte sich für gewöhnlich selten und schon gar
nicht für seine Launen. Da Romy ihm aber etwas bedeutete und er höchst
ungerecht zu ihr gewesen war, kam sie gleich in den Genuss einer Ausnahme. Das
war das Mindeste, das er ihr schuldete. Schließlich waren sie Soulmates.
    „Oh, ich
habe dir noch etwas mitgebracht!“
Irgendwie fand er nicht den richtigen Dreh, um das mühsam Vorbereitete
hervorzubringen. Gleich würde ihr der Geduldsfaden reißen. Chryses spürte die
Spannung zwischen ihnen wie Elektrizität. Ein unangenehmes Kribbeln, das nichts
mit der sexuellen Anziehungskraft zu tun hatte, die in den letzten Tagen vor
seinem Einsatz zwischen ihnen geherrscht hatte.
Hastig zog er ein kleines ledergebundenes Büchlein aus der Innentasche seiner
Jacke, dessen Einband ziemlich abgegriffen aussah. Die blauen, seidig
schimmernden Lesebändchen, die in den schmalen Buchblock eingeklemmt waren,
fisselten am unteren Ende schon auseinander. Das Blattgold, das den
eingeprägten Titel zierte, hatte ebenfalls schon bessere Tage gesehen. Es hatte
bis zum heutigen Tag ungenutzt in der Bibliothek der Fortress gestanden, war
aber von seinem ursprünglichen Besitzer mehr als wertgeschätzt worden.
    Chryses
schob es Romy über den Tisch zu.

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