Die Nacht der Uebergaenge
Der Stuhl knarrte entsetzlich. Ein Moment zum
Atem anhalten, doch das Ding hielt. Sein Glück. Pech für ihre möglicherweise
empfundene Schadenfreude. Nicht besonders neugierig betrachtete Romy das Buch.
Eine komische Art des Mitbringsels. Er ging nicht davon aus, dass sie das
griechische Alphabet konnte, doch wenn sie die Seiten berührte, würde sie
wissen, worum es ihm bei diesem Geschenk gegangen war. Es war eine
Dünndruck-Reprintausgabe der Odyssee von Homer.
„Malakai
hat euch bei jedem seiner Besuche daraus vorgelesen. Zuerst nur dir und als
deine Schwester geboren war, auch ihr. Er sagte, ihr hättet dabei immer
wunderbar einschlafen können, obwohl ihr die Geschichte eigentlich gar nicht
verstanden habt. Er war ein guter Vorleser. Klar und melodisch. Theron und ich
hingen ebenfalls an seinen Lippen, wenn er uns aus den alten Schriften der Immaculates
vorlas. Natürlich nicht zum Spaß. Wir mussten lernen, aber er war ein guter
Lehrer und wir hatten ihn sehr gern.“
Während
sie dem Buch nun ein wenig mehr Aufmerksamkeit schenkte, nahm er einen Schluck
Kaffee und platzte schließlich endlich mit dem wahren Beweggrund seines Kommens
heraus, bevor sie ihm auf den störrischen Kopf zusagte, er wäre doch wohl nicht
zum Austausch von Familienerinnerungen gekommen.
„Ich hätte gestern Nacht auf der Straße nicht so ungerecht zu dir werden
sollen, Romana. Dafür will ich mich entschuldigen. Ich hätte mich mehr
zurücknehmen müssen. Ich war wütend, weil der Einsatz auf der Bohrinsel nicht
so reibungslos gelaufen ist. Wütend auf mich selbst, weil es eigentlich nicht
so schwer sein kann, offen mit dir zu sprechen, mehr über dich in Erfahrung zu
bringen und dir zuzuhören, wenn du Fragen hast. Ich habe dich unbewusst zu sehr
mit Catalina verglichen. Das war nicht richtig. Du hast zwar den gleichen
Titel, jedoch nicht das gleiche Wissen.“
Sie
zuckte kaum merklich zusammen und ihm wurde klar, dass das schon wieder
ziemlich anmaßend klang. Romy könnte ihn jederzeit aus dem Haus werfen.
Mittlerweile besaß sie ja nicht nur das Durchsetzungsvermögen, sondern auch die
nötige Kraft.
„Warte!“,
sagte er deshalb schnell und die vorderen Stuhlbeine vermittelten ihm ein
unbestimmtes Gefühl dessen, dass sie sich im Gegensatz zu ihm nicht zu fein
dazu waren, einzuknicken und sozusagen vor Romy auf die Knie zu gehen. Chryses
wäre am liebsten aufgestanden. Das hier lief ganz und gar nicht so einfach ab,
wie er das geübt hatte.
„Du weißt
doch, was ich meine, Romana. Ich hätte es nicht Catalina überlassen sollen,
dich über die Prophezeiung aufzuklären, sondern selbst etwas dazu sagen müssen,
damit du weißt, dass mir etwas an dir liegt. Ich hätte dir sagen sollen, dass
wir Soulmates sind und dass man gegen diese Art von Verbindung nichts machen
kann. Es ist Schicksal. In diesem Fall bindet man sich tatsächlich für die
Ewigkeit und im Grunde ist es etwas ganz Wunderbares, sofern man es nicht mit
einem Trottel wie mir zu tun hat. Ich erwarte nicht, dass du mir sofort
verzeihst. Ich wollte dich einfach nur wissen lassen, dass es mir aufrichtig
leid tut.“
Okay, das war’s dann. Er hatte es gesagt. Er war und blieb ein Idiot. Und er
hätte definitiv mehr vor dem Spiegel üben sollen.
Rys hatte
sie völlig kalt erwischt. Für Romy war es ein Schock, sich ihm gegenüber zu
sehen. Sie hatte keine Ahnung, wie sie damit umgehen sollte und verspürte einen
Anflug nackter Panik. Ihre Wut war schon längst verraucht. Sie regte sich auf,
ließ es raus und damit war die Sache abgehakt. Aber mit Rys schien die
Strategie nicht zu klappen. Er war so völlig anders als die Männer, die sie
bisher in ihrem Leben kennen gelernt hatte. Eigentlich war sie ziemlich
männerfeindlich eingestellt und hatte seit der völlig schief gelaufenen
Beziehung mit einem Kollegen von der Sitte niemals wieder einen an sich
rangelassen. Diese eine vernichtende Demütigung hatte ihr völlig gereicht. Ihr
Alter Ego, Sugar, rührte aus dieser Zeit, als sie für die Sitte die Rolle einer
Prostituierten gespielt hatte, um ihnen bei der Lösung eines Falles zu helfen.
Ihr Boss hatte damals sie für die Kollaboration vorgeschlagen, weil sie das
nötige Aussehen mitbrachte.
Sie
blinzelte die Erinnerungen weg und sah Rys dabei zu, wie er mit dem Stuhl
kämpfte, auf dem sich Bennie natürlich viel wohler gefühlt hatte. Der Gedanke
an den Jungen half ihr ein bisschen, die Fassung zu bewahren. Sie war
vielleicht nicht zu viel nütze, aber
Weitere Kostenlose Bücher